Interview - Ekaterina Vassileva
Was hat Dich an der Ausschreibung gereizt?
Ich finde das Format einer Anthologie grundsätzlich sehr reizvoll. Das ist so etwas wie ein Blind Date, denn du hast in der Regel keinen Einfluss darauf, wer mit dir unter ein Cover kommt, und genau deshalb bekommst du eine Chance, das eigene Werk neu zu erleben. Unsere Wahrnehmung einer Sache wird nun mal sehr stark durch den Kontext beeinflusst, deshalb kann es für einen Autor ausgesprochen nützlich sein, seinen Text in unterschiedlichen Zusammenhängen sozusagen auf die Probe zu stellen und zu sehen, wie er dort funktioniert. Nicht umsonst wird spätestens seit der Postmoderne die Sammlung, die aus vielen autonomen Kunstobjekten besteht, als ein Kunstwerk für sich anerkannt!
Das ist übrigens meine erste deutschsprachige Anthologie und zugleich auch die erste, die sich vollständig auf die Literatur der Gegenwart konzentriert. Das bedeutet für mich als eine russische Autorin viele neue Begegnungen und Entdeckungen.
Persönliche Definition von Zerschlagen?
Zerschlagen steht zunächst mal für Gewalt, und zwar für Gewalt, die nicht erlitten, sondern vollzogen wird. Im Grunde ist es ein schöpferischer Akt, der neue Verhältnisse schafft, indem er mit Absicht etwas zerstört. Und damit assoziiere ich diesen Begriff sowohl mit dem Begehren, sich kreativ mit der Welt auseinanderzusetzen, als auch mit dem Bewusstsein, dass man gewisse Dinge dabei unweigerlich auch zu Bruch führen muss – seien es auch nur bestimmte Denkweisen oder Wertvorstellungen. Wobei ihre Verletzung ja erfahrungsgemäß gerade als besonders schmerzhaft empfunden wird.
Was hat Dich zu Deinem Text inspiriert?
Im Rahmen meiner akademischen Arbeit habe ich mich viel mit der Performance- und Aktionskunst beschäftigt, die ihren ästhetischen Effekt oft einer radikalen, bisweilen aggressiven Geste verdankt, also genau das besonders markant zum Ausdruck bringt, was ich oben mit "Zerschlagen" beschrieben habe. Im gewissen Sinne stellt der Peformancekünstler ein Idealmodell dar, an dem man all die Widersprüche und Herausforderungen eines modernen Subjekts in einer konzentrierten Form betrachten kann. Deshalb habe ich beschlossen, eine solche Figur auch in meinen letzten Roman einzuführen. Die entsprechende Begegnung bildet den Kern des Auszuges, der für diese Anthologie ausgewählt wurde. Wie sich diese Begegnung gestaltet und was daraus wird, möchte ich hier noch nicht verraten. Jedenfalls geht es um zwei der zentralen Kategorien des Kunstschaffens: die Kontrolle und den Kontrollverlust. Oder vielmehr um die Kontrolle über den Kontrollverlust, womit wir schon den ästhetischen Bereich im engeren Sinne verlassen und an die Grundfragen der menschlichen Existenz anknüpfen.
Autorinnenprofil:
Ekaterina Vassileva beim VHV-Verlag