Preview II: Blick ins Manuskript
Spoiler Alarm! :) Ab hier erfahrt ihr Details aus der Geschichte. Wer sich vom fertigen Buch überraschen lassen möchte, sollte lieber warten. Wer neugierig ist auf einen Teil des (noch umlektorierten) Manuskripts, voilà:
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Die Wehen werden stärker und kommen jetzt öfter. Kleine Schweißperlen sammeln sich auf Marias Stirn, ihr Atem wird schneller. „Hej, du kleiner Granatapfel. Komm’ jetzt bitte raus!“, ruft Maria halb flehentlich, halb inniglich. Und endlich — mit einer starken Wehe und einem lauten Jubelschrei kommt das Köpfchen zum Vorschein. Besser gesagt: ein paar verklebte schwarze Haarbüschel.
„Wir sehen das Köpfchen!“ rufen Josef und Anouk wie aus einem Munde. Sie feuern Maria an: „Gleich hast du es geschafft.“ Maria fasst mit der rechten Hand zwischen ihre Schenkel. Tatsächlich, das Köpfchen. Ganz warm und feucht und auch ein bisschen schmierig. Sie kann durch die Kopfhaut sogar den Herzschlag des Kindes spüren. „Oh, das Kind! Was ein Wunder!“ Marias Seufzer der Erleichterung durchbricht die stille Nacht.
Jetzt geht es auf einmal ganz schnell. Maria geht in die Hocke und stützt sich mit beiden Armen an der Futterkrippe ab. Sie holt tief Luft, lässt ihre Kraft kommen und drückt noch einmal ganz doll. Es fühlt sich an, als ob sie eine besonders dicke Kackwurst rauspresst.
Vor lauter Anstrengung kommt tatsächlich ein klein bisschen Kacke aus dem Poloch raus. Und ein paar Tropfen Blut aus der Scheide. Und mit ihnen — das Baby! Josef nimmt es entgegen und schließt es in die Arme. Das Neugeborene ist eingerollt und schrumpelig und ein bisschen lilafarben. Überall am Körper hat es eine weißliche Schmiere. Diese Schmiere ist eine wichtige Schutzschicht für das Kleine gegen die Kälte, gegen das Austrocknen und gegen schädliche Keime.
Josef staunt: Warum ist das Baby so bläulich? Erst hört er ein leises Krächzen, dann einen kräftigen Schrei. „Willkommen in der Welt, Kleines! Hol ruhig tief Luft!“ Jetzt ist Josef beruhigt: Nach diesem ersten Atemzug schimmert das Kleine olivfarben.
Josef legt das runzelige Würmchen auf Maria ins Stroh. Da liegen sie eine kleine Ewigkeit ganz still — Herz an Herz, Bauch an Bauch. Maria hält ihr Ohr an sein kleines Gesicht. Ja, es atmet. Alles gut. Dieser Augenblick soll niemals enden, denkt Maria.
Noch sind Maria und das Baby durch die Nabelschnur verbunden. Anouk holt ein Messer aus Marias Stofftasche, bindet die Nabelschnur ab und setzt zum Schnitt an. „Halt! Tut das dem Kind nicht weh?“, fragt Maria erschrocken. „Nein, keine Angst“, beruhigt sie Anouk. „An dieser Körperstelle spürt es keinen Schmerz.“ Josef nimmt all seinen Mut zusammen und schaut zu Anouk: „Darf ich?“ Mit zittrigen Fingern nimmt er die Nabelschnur und schneidet sie durch.
Sie wickeln das Kind, so wie es ist, in mitgebrachte Stoffwindeln. Josef packt es rasch unter seinen Mantel, um es warm zu halten.
„Liebes Kind“, flüstert er mit zärtlicher Stimme, „Ich wusste ja gar nicht, was alles passiert, bis du endlich da bist.“ Josef blickt zu Anouk: „Wusstest du es?“ „Ich hab’ zwar schon mal eine Geburt miterlebt“, sagt Anouk. „Aber die war ganz anders.“ Maria schaut auf: „Jede Geburt ist anders, hat meine Hebamme gesagt.“
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