Brief von Dr. Dieter Hüttner: Flüchtlinge - damals und heute
Heute möchten wir euch einen ganz besonderen Brief vorstellen. Dr. Dieter Hüttner, Vorstand des Vereins Hilfe von Mensch zu Mensch e.V. war selbst einmal Flüchtling als Sudetendeutscher und hat uns einen Brief zu der Situation von Flüchtlingen damals und heute geschrieben. Wir bitten euch diesen nicht nur zu lesen, sondern auch so vielen Menschen wie möglich zu zeigen!
Flüchtlinge – damals und heute
Deutschland erlebte vor knapp 70 Jahren eine der größten Flüchtlingskatastrophen der Geschichte: mindestens 12 Millionen Menschen mussten ihre angestammte Heimat im
Osten und im Sudetenland verlassen und kamen in ein vom Krieg zerstörtes Land. Die Jahre nach dem Kriegsende 1945 waren für die Flüchtlinge wie für die einheimische Bevölkerung eine schlimme Zeit, geprägt von Hunger, fehlenden Wohnungen, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung, wie es weitergehen kann. Aber die Menschen teilten das Wenige, das sie hatten, und die Neuankömmlinge packten mit an, das Land wieder aufzubauen und einen neuen Anfang zu machen. Da blieb keine Zeit zum Verzweifeln, weil man überleben musste.
Und es geschah das Wunder, dass Einheimische wie Zugewanderte schon nach wenigen Jahren einen neuen Staat schufen, in dem man, wenn auch gering bezahlte, Arbeit fand, die Barackenlager und Notunterkünfte wieder verlassen konnte, die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern von Jahr zu Jahr sicherer wurde und dass so das
„deutsche Wirtschaftswunder“ entstand. Das wichtigste Kennzeichen dieser Entwicklung war die Tatsache, dass die Menschen anpackten, ihre Kraft und Energie einsetzen konnten und die Verantwortung für sich selbst übernahmen.
Die Flüchtlinge heute kommen aus den vielen Krisengebieten in Asien und Afrika. Auch sie haben nichts außer ihr Leben gerettet, haben alles verloren und kommen in ein wohlhabendes Land, dessen Lebensweise und Kultur ihnen fremd ist. Im Gegensatz zu den deutschen Flüchtlingen von damals können sie sich sprachlich nicht verständigen und
kommen in Unterkünfte, die ihre Bewegungsfreiheit und ihre Eigentätigkeit weitgehend beschränkt. Sie sind einer ausgeklügelten Bürokratie ausgeliefert, die sie registriert und in eine Kartei von „Fällen“ aufnimmt, die in langen Prozeduren abgearbeitet werden. Sie haben keine Sicherheit, dass sie im Land bleiben dürfen und haben keine Chance, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und einen neuen Anfang zu machen. Auch die Flüchtlinge von damals waren nicht willkommen, aber sie bekamen schnell eine Chance, selbst tätig zu werden. Das ist anders bei den Flüchtlingen von heute, denen unser Staat wohl das Notwendigste gibt, aber sie meist für lange Zeit ihrer Eigeninitiative beraubt und dadurch ihrem Leben einen Stillstand verordnet, aus dem sie nur mühsam wieder herausfinden können.
Das Entscheidende, um das Flüchtlingsschicksal zu überwinden, ist die Eigentätigkeit. Das eigene Tun, mit dem man etwas aufbaut und schafft, gibt dem Leben wieder einen Sinn. Darin liegt das Geheimnis des deutschen Wirtschaftswunders nach einem verlorenen Krieg und der Zerstörung. Eigentlich hätten wir als Deutsche daraus lernen können, um den Flüchtlingen von heute, auch wenn sie aus anderen Ländern und Kulturen kommen, mit einer anderen Einstellung zu begegnen. Menschen müssen möglichst schnell in die Lage versetzt werden, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Dann werden sie keine Belastung, sondern eine Bereicherung für unseren Staat und unsere Gesellschaft. Das muss die Botschaft eines Gedenktages für Flucht und Vertreibung sein.Dr. Dieter Hüttner
München, den 03.09.2014