Der Grat der Nachhaltigkeit wird erhöht, je höher die Summe des Crowdfunding ansteigt: zB Möglichkeit lokaler zu produzieren und einzukaufen.
Aus Regerl, dem weggesperrten Burgfräulein einer Mürztaler Sage, wird Regina, die Königin der Vielfalt, deren Fest gefeiert wird. Regina wandert durch die Zeiten und Gesellschaften und schaut aus verschiedenen Perspektiven und Wahrnehmungen auf ihre eigene Geschichte und die damit verbundene Gewalt, die patriarchalen Strukturen und überlieferten Muster, die sie – und uns alle – gefangen halten. Denn wir alle sind im übertragenen und wörtlichen Sinne Regina (oder können es werden)!
In einer partizipativen und inklusiven Oper gibt es rund um das Schloss Pichl sieben Stationen bzw. Störungen, die es zu überwinden gilt, um die Welt zu retten. In Regina wird gesungen und gesprochen, musiziert und gefeiert. Schauspieler:innen, Sänger:innen, eine Band, Kinderchöre und Blaskapellen erzählen und unterhalten, hinterfragen und schauen nicht nur zurück, sondern auch auf uns, heute und voraus – die Schlossoper als gemeinsames Fest der Vielfalt und der Utopie.
TEXT | LIBRETTO
Uneheliche Kinder, Todgeburten, getötete Neugeborene, verstossene Kinder, eingesperrte oder eingemauerte (junge) Frauen: Die Sage um das Burg- oder Schlossregerl des Schlosses Pichl im Mürztal fügt sich mit seinen tradierten Gewaltmustern in einen zumindest westlichen Sagenschatz. Die vergewaltigte, missbrauchte und bestrafte Frau, die sich den patriachalen Strukturen nicht unterordnen will: Dieses oder ähnliche Muster sind in antiken Mythen ebenso zu finden wie in Erzählungen des 19. Jahrhunderts oder in der modernen Krimiliteratur von heute und für die Oper Regina Basis und Inspiration zu Reflexionen über Gewalt gegenüber Frauen, Schutzbedürftigen, beeinträchtigten Menschen, die Natur und die Zukunft unserer Erde – aber auch zu deren Überwindung.
Die Jubileen des Schlosses und der darin beheimateten forstwirtschaftlichen Ausbildungsstätte FAST Pichl sind wohl Anlass für die Opernproduktion, das Fest, zu dem sich die Oper entwickelt, hat aber einen allgemeingültigen, künstlerischen Anspruch. Das Wirken und Wirtschaften auf der Erde kann nicht ungebremst und immer weiter ins Endlose wachsen, bis alle Ressourcen erschöpft sind, sondern soll sich in die Viefalt weiterentwickeln, wenn es eine lebendige und lebbare Zukunft für alle geben soll.
Text und Libretto verhalten sich zu den Aussagen seines Inhalts reflektierend, resümierend, provozierend, in Brecht/Weilschem (oder Ungerschem) Sinn agitierend und schließlich visionär und utopisch. Poetisches und Politisches sollen einander nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen, befruchten und zu einem zeitgenössischen Musiktheater werden, das die unterschiedlichsten Akteur:innen zur Teilhabe und Anteilnahme motiviert.
Den Rahmen der Handlung gibt der Ort vor, als mobile Stationen gilt es sieben Störungen (etwa verschiedene Versionen/Framings einer Zuschreibung, das Eingesperrtsein und das Schöpferische, die Auflösung von Macht- und Gewaltverhältnissen, die Utopie der Vielfalt u.a.) zu absolvieren und zu überwinden.
Regina wandelt durch die Zeiten wie eine Woolfsche Orlando-Figur, sie nimmt verschiedene Gestalten, Alter, Geschlechter, Identitäten an.
Regina ist alle und alle sind Regina.
Es wird durchgehend auch gesprochene, mitunter ausufernde Passagen geben. Diese Textflächen der Sängerinnen und Schauspieler:innen sollen sich durchaus episch, wie im Rausch und in Kaskaden über das Publikum ergießen. Sie werden immer wieder dialogisch aufgebrochen.
Der Chor fungiert als Echo, Kommentator, kann Hintergrundinformationen beisteuern oder das Gesagte moralisch bewerten, einordnen.
Die Lieder der Sängerinnen sind poetisch-erzählerisch angedacht, Rezitative sind eingebettet in Songs und Belcanto-Arien.
DIE MUSIK
Den geschichtsträchtigen Mauern wird durch die Oper ein zeitgenössisches Denkmal gesetzt. Neben einer Fanfare against Misogynie wird Musik für die einzelnen Szenen/Bilder entwickelt, sowie installative Klangräume für den Ort geschaffen. Vorhandene (Klang-)Flächen (Mauern, Wände, Geländer, Balustraden …), das klangerzeugende Innenleben des Schlosses und des Areals innerhalb der Burgmauern (Leitungen, Gebläse, Hackschnitzelheizung …) dienen als Basis für elektronische Verarbeitung und Transformation des aktuell bestehenden Klanggeschehens.
Analog gespielt und gesungen wird mit sechs professionellen Musikschaffenden, zwei professionellen Sängerinnen unterschiedlicher Genres und einer Schauspielenden, dazu bringen lokale, semiprofessionelle (Musik-)Gruppen – drei Blaskapellen, drei Kinderchöre von Volksschulen und ein Chor etwas älterer Kinder der Mittelschule des Ortes, eine Laientheatergruppe, ein Männergesangsverein, sowie Kund:innen der Lebenshilfe – ihre Kunst mit ein. Die Verschmelzung diverser künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten birgt enormes Entwicklungs- und Erfahrungspotential für alle Beteiligten – egal ob Profis oder Laien, Menschen jeden Alters und Menschen mit oder ohne besondere Bedürfnisse. Von Exzellenz geprägte Kunstmusik erfährt durch ungefilterte Zugänge von Menschen ohne spezifische Ausbildung eine Richtung hin zu purem Erfahren des Moments und unmittelbarer Ausdruckskraft. Umgekehrt kann der Blick von Fachexpert:innen für Laienkunstschaffende neue Ausdruckssprachen und Techniken eröffnen: Gesamtkunstwerk par excellence.
Laura Winkler wird die Kompositionen für die vier Chöre übernehmen.
Ihr Ansatz für Chorkomposition hat wenig mit herkömmlichem Kinderchor gemein, sondern orientiert sich mit seinem klang- und wortmalerischen und grundsätzlich experimentellem Ansatz eher an Künstlerinnen wie Meredith Monk. Allerdings geht es Winkler auch um kulturelle Aktivierung der Tradition, in dem sie folkloristische Elemente wie Jodeln einsetzt und dieses kulturelle Erbe auf innovative Weise mit neuer Musik zusammenbringt.
Das Großwerden in und mit diesem sehr aktiven und qualitativ hochwertigen Kulturleben aus der Ortschaft und deren umliegenden Gemeinden hat für die Komponistinnen Gstättner und Winkler die Basis für ihre künstlerische Arbeiten gelegt. Viele Jahre später damit umzugehen und die noch immer brandaktuelle Historie des eingemauerten Burgregerl einer künstlerischen Transformation zu unterziehen, gleicht den Komponistinnen (gebürtig aus St. Barbara und Krieglach) wie eine Erlösung und Katharsis im höchsten Sinne: eine Befreiung.
Die Forstliche Ausbildungsstätte Pichl, eine Weiterbildungsinstitution der Landwirtschaftskammer Steiermark, Schloss Pichl freut sich in Zusammenarbeit mit international tätigen Künstler_innen dieses Projekt zum 800. Geburtstag des Schlosses, dem 75-jährigen Bestehen der Forstlichen Ausbildungsstätte Pichl, dem 30. Todestag von Paul Kassecker, dem österreichischen Bildhauer und Maler, welcher die traditionelle Wald- und Feldarbeit künstlerisch festgehalten hat, ein weit über die Grenzen wirkendes künstlerisches, geschichtsträchtiges Werk zu unterstützen und zu fördern.
Zusätzlich feiert die Nahwärme Krieglach ihr 20-jähriges Bestehen, die Intialzündung zur Entwicklung dieser inzwischen größten bäuerlichen Wärmeliefergemeinschaft in der Region, war ein Pilotprojekt an der FAST Pichl im Jahr 2002. Die Forstliche Ausbildungsstätte Pichl wird jährlich von ca. 5.000, seit der Gründung der FAST Pichl waren dies mehr als 150.000 Personen, besucht.
Durch das Alleinstellungsmerkmal der Forstlichen Ausbildungstätte Pichl in der Bildungslandschaft in der Steiermark, sogar Österreich, werden derartige Veranstaltungen auch weit über die Grenzen der Steiermark verfolgt und wahrgenommen. Die zur Zeit laufenden internationalen Kontakte z.B. Italien, Slowenien, Kroatien, Rumänien und Japan lassen eine viel größere Breitenwirkung erwarten.
Ein zentrales Anliegen dieser Schlossoper ist die Begegnung von Menschen mit verschiedensten Expertisen und Hintergründen und eine Bündelung dieser Verschiedenheit zu einem innovativen musiktheatralen Erlebnis. Neben Profis ihrer Kunstbereiche wie Autorin, Komponistin, Regisseur und Sänger:innen, der Blaskapelle und professionellen Musiker:innen wirken zahlreiche Laien aus St. Barbara und dem Umkreis mit. Künstlerische Methodik ist sowohl musikalisch wie auch theatral eine Zugewandtheit und Offenheit, die zuhört, staunt und in der wir uns weder selbst vergessen noch störrisch auf der einen Wahrheit beharren.
Ein besonderer Aspekt ist die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Mürztal, die bereits mit „Die Nacht von Allerheiligen” auf eine erfolgreiche Vergangenheit blicken kann. Mit dem inklusiven Ansatz gehen wir einen konsequenten Schritt auf dem Weg zur Entgrenzung des hochkulturell erstarrten Genres Oper. Mit Kund:innen der Lebenshilfe treffen wir nicht nur auf gestandene Art Brut-Künstler:innen, sondern auch auf Expert:innen einer künstlerischen Entfaltung über tradierte (Genre-)grenzen hinaus.
Inklusives Musiktheater im ländlichen Raum ist ein europaweit radikal neuer Ansatz, denn trotz der gestiegenen Anzahl inklusiver Theaterarbeiten generell, stecken Musiktheater und Oper noch am Anfang dieses Prozesses. Die hohe und arbeitsteilige Spezialisierung in der Oper mag ein Grund für diesen Umstand sein. Wir sehen die integrative Arbeit im Musiktheater als eine notwendige Frischzellenkur mit Hörgewohnheiten und bornierten Strukturen. Vorurteile im Bereich der künstlerischen Fähigkeiten von Menschen mit Einschränkungen gilt es genau wie althergebrachte Hörgewohnheiten in Bezug auf Blasmusik und Oper abzubauen, zu erweitern und neu zu definieren.
Es geht in der gemeinsamen Arbeit um mehr als nur eine Aufführung. Es geht darum, eine „erweiterte Wirklichkeit” zu erschaffen, in der Talente geweckt, Austausch von Perspektiven und Expertisen ermöglicht werden. Es geht darum, sich im Praktizieren von Utopien zu üben. Gerade in Zeiten der Pandemie braucht es eine solche auf Kollektivität setzende Arbeit, die jenseits kultureller Zentren ein Gesamtkunstwerk mit persönlichen Mitteln erschafft. Dabei dürfen die vielen Unterschiede der Mitwirkenden nicht aufgehoben werden. Im Gegenteil: Sie lassen die kulturelle und inhaltliche Opulenz, den einzigartigen Klang dieser Oper erst entstehen.
Das Geld fließt in die regionalen Strukturen des Projekts. Uns ist es besonders wichtig die Fördersumme daher ausschließlich in die regionale Wirtschaft zu investieren, um dadurch kurze Liefer- und Auftragswege und eine weniger starken Emissionsausschuss zu generieren. Nehmen wir ein Beispiel: Unsere Drucksachen werden bei einer lokalen Druckerei in Kindberg beauftragt. Es wäre günstiger bei einen Online-Druckshop zu bestellen, doch die nachhaltige Bewirtschaftung der Region ist uns genauso wichtig, wie der soziale Umgang mit der Arbeit, die in dieses Projekt gesteckt wird.
BESETZUNG
Text/Libretto: Angelika Reitzer, Katharina Heindl
Komposition: Maria Gstättner, Laura Winkler
Regie: Georg Schütky
Bühnenbild: Atelier Nahtloskunst – ein Art Brut Atelier der Lebenshilfe Mürztal in Kooperation mit Georg Schütky
Kostümbild: Wieland Lemke
Produktionsleitung: Philip Stoeckenius
Ein Projekt in Kooperation von: Kulturinitiative Mitterdorf & Fast Pichl & Lebenshilfe Mürztal & ARGE Durchbruchstal
Ort: FAST Pichl – Schloss Pichl, St. Barbara im Mürztal (Ortsteil Mitterdorf im Mürztal), Rittisstraße 1, 8662 St. Barbara im Mürztal
Dauer: ca. 130 Minuten
Uraufführung: 6. Oktober 2022 (weitere Vorstellungen: 7./8. Oktober 22)
Besetzung:
Fran Lubahn: Stimme
Laura Winkler: Stimme
Yvonne Klamant: Spiel
Karin Troiss: Spiel
Alexander Hölbling: Spiel
Martin Siewert: E-Gitarre, Synthesizer
Maura Knierim: Harfe
Joachim Hochörtler: Saxophone
Harald Matjaschitz: Posaunen
Bernhard Richter: Schlagwerk
Raphael Meinhart: Schlagwerk
Mitwirkende:
Kinderchöre der Volksschulen Wartberg, Mitterdorf, Veitsch und der Mittelschule Mitterdorf; Mürztaler Trachtenkapelle Mitterdorf, Werkskapelle Veitsch, Werks- und Ortskapelle “Harmonie Wartberg”, Veitschtål-Xång, Mitterdorfer Laienbühne, Lebenshilfe Mürztal