Liebe Andersdenkende
Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich dank des #dScholarships tun und lassen, was ich will. Ich bin von niemandem finanziell abhängig und habe keine Pflichten. Wie fühlt sich das an, fragen mich viele: Diese grenzenlose Freiheit. Nun, hierzu muss ich gleich eingestehen: Freiheit ist das nicht gerade, was ich fühle. Es gab sogar ein, zwei Nächte, in denen ich unruhig geschlafen habe.
Ich dachte, das #dScholarship würde mir diesen sagenumwobenen schwerelosen Zustand bereiten können, in denen die Ideen nur so sprießen. Ein Zustand, den der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi Flow nannte. Ich fühle mich gut, ja auch meist glücklich, vor allem dann, wenn ich das Gefühl habe, dass unser Sohn Henri und ich in Schwingung kommen. Nachts wacht der mittlerweile 14 Monate alte Freigeist nur noch zwei Mal auf. Er lässt sich sogar von mir beruhigen und nicht nur von seiner wundervollen Mutter. Wenn er dann auf meiner Brust wieder einschläft und ich ihn mit dem Auf- und Absenken meines Brustkorbes in die Wogen wiege, dann stelle ich mir vor, er sei ein kleines Schiffchen in einem sicheren Hafen. Das ist der Moment, den ich mit Glück meine.
Mittlerweile ist es mir größtenteils gelungen, mich von dem Erwartungsdruck meiner StifterInnen zu lösen. Doch die innere Dankbarkeit lässt sich nicht wegknipsen. Ich fühle mich meinen zweihundert Stiftern dankbar, denn sie glauben an mich. Es ist gar nicht so sehr das Geld. Es ist eher der Vertrauensvorschuss, der mich beseelt. Als ich vor einem Jahr den Gründer eines Berliner Kaufhauses Christoph Struhk von dem #dScholarship erzählte, sagte er ohne eine Wimper zu zucken: Du wirst in nur wenigen Stunden das gesamte Geld zusammenhaben und ich werde Dir ohne Frage einen Teil dazu beisteuern. Struhk ist ein großer Bewunderer der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens, und offensichtlich muss ich einen Nerv bei diesem Mann, den ich zuvor noch nie gesehen habe, getroffen haben. Wie wir alle wissen, hat er sich geirrt. Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis das Stipendium beisammen war. Doch auf seine Zusage war Verlass. Im Internet sieht man uns beide in einen kurzen Film, aufgezeichnet in seinem Büro am Moritzplatz in Kreuzberg, eine sechs Quadratmeterkiste auf Rollen.
Das Jahr beginnt mit vielen Neuigkeiten:
Ich habe ein neues Hobby entdeckt: Dichten. Anstelle einer Neujahresrundmail habe ich ein Video aufgenommen am schönen Gleisdreieckpark in Schöneberg vor einer U-Bahnbrücke. Ich nenne das Vierminuten-Gedicht "Glaubensbekenntnis", und ich baue auf dem auf, was meine vielen Unterstützer angefangen haben: Vertrauensvorschuss geben. Es haben sich in wenigen Tagen mehrere Hundert Menschen angeschaut. Ich hoffe, dass ich damit vielen Menschen Mut machen konnte, einen neuen Weg einzuschlagen, falls sie sich bislang nicht getraut haben.
Eine weitere Neuigkeit, vielleicht eine, die mein Leben verändern wird: Ich werde Professor! Die Professoren Jesko Fezer und Friedrich Von Borries von der staatlichen Kunstuniversität HFBK haben mich berufen. Für ein halbes Jahr, als Vertretung einer schwangeren Professorin. Was für ein Timing! Hier sind zwei Aspekte, die mir daran so gut gefallen:
1. Die Professur ist zeitlich begrenzt. Wachstums- und akademische Karrierepläne sind somit ausgeschlossen. Stellt Euch vor, wie ein Professor Lehre betreiben könnte, wenn er weiß, es gibt kein "Morgen". Er kann seine komplette Kreativität in die Lehre stecken und muss keine Kraft und Zeit ins Netzwerken und in den Status Quo investieren (hierfür geht fast die Hälfte der Zeit drauf, auf Kosten der Studierenden).
2. Ich brauche das Geld nicht!
Dank des #dScholarships kann ich mit dem Professorenhonorar frei hantieren. Ich werde es unter den 18 Studierenden aufteilen. Jeden Monat gibt's Cash von mir auf die Kralle. Meine Vorprofessorin hält das (wie vermutlich fast alle Professorenkollegen auf dieser Welt) für die falsche Entscheidung. Doch die Sache mit dem Geld ist mir wichtig:
Erstens ist das ein Sozialexperiment. Wie verhalten sich Studenten, wenn sie für das Studieren Geld von ihrem Prof bekommen? Wie werden sie das Geld einsetzen? Wird es Machtkämpfe geben? Fühlen sich die Studenten gar von mir korrumpiert? Wem steht eigentlich dieses Honorar zu? Ohne Frage arbeiten die Studierenden ja auch, zumindest in Stunden gemessen mindestens soviel wie die Profs. Warum sollten sie nicht dafür bezahlt werden? Weil sie ja von dem Studium profitieren? Ist das so? Verdient ein Student mit Master of Arts-Stempel mehr Geld als jemand ohne HFBK-Zertifikat? Lernt er denn überhaupt etwas, was er nicht durch die Praxis schneller lernen würde? Woher kommt eigentlich das viele Geld? Es sind über 20.000 Euro, die in den nächsten Monaten von der Freien Hansestadt Hamburg auf mein Konto fließen werden. Es gehört doch dem Steuerzahler, oder? Und wieso müssen eigentlich die Steuerzahler das private Vergnügen von 18 Studierenden aushalten inklusive deren Profs? Gibt es vielleicht eine Verantwortung den Steuerzahlern gegenüber, also dem Volk? Ich nenne sie ja die Crowd.
Als mich vor einigen Wochen der Präsident der HFBK zum Kennenlerngespräch in seine denkmalgeschützte Präsidalkammer einlud, bat er mich darum, mich den 18 Studenten verplichtet zu fühlen. Ich trage große Verantwortung. Ich sehe das auch so, allerdings denke ich nicht, dass meine Verantwortung mit den Mauern der HFBK aufhört. Ich fühle mich der Crowd verpflichtet. Das sind die Steuerzahler, die Nachbarn also, die Eltern der Studierenden, die Arbeiterklasse und allen, die halt Steuern zahlen. Und ich fühle mich den Menschen verpflichtet, die es mir überhaupt erlauben, dieses Experiment mit dem Geld machen zu dürfen. Also den #dScholarship Stiftern im Besonderen. Für mich stand es ohne Frage: Meine Lehre wird nicht an den Mauern der HFBK aufhören. Ich will sie öffnen. Jeder, der an der HFBK mit uns Design studieren mag, ist willkommen. Ich nenne das Crowducation. Mithilfe des Internets werden wir Möglichkeiten finden. Das heißt, auch die #dScholarship StifterInnen und alle anderen aus der Crowd können mitmachen. Es gibt eine Facebook Gruppe, wo wir transparent machen, was uns beschäftigt und was wir gerade lernen: http://www.facebook.com/crowducation
Eine offene Seite und derzeit arbeiten die Studierenden an unserem Seminarraum auf der Dachterasse.
Es soll eine #OpenAcademy werden.
Das sehen nicht alle gern. Party machen ist beispielsweise laut aktueller Anordnung an der Uni untersagt.
Da habe ich gelernt, was der Unterschied zwischen Hamburg und Berlin ist. Sollen sie mich feuern. Ich werde den Studierenden nicht verbieten zu feiern, zu lieben und zu leben. Damit würde ich ja 80% des Studiumszweckes verhindern. Wie wir alle wissen, sind ja alle wichtigen Vorträge und Inhalte bereits im Internet abrufbereit. Für umme. Die Uni ist zum Austausch da, nicht zur Wissensvermittlung.
Ich hatte am 5. Januar (letzten Montag) meinen ersten Tag als Prof an der HFBK. Mann, ich war nervös, habe mir extra von meiner Frau ein neues Outfit verpassen lassen, weil ich dachte, dass ich mit meinen zerrissenen Jeans und zerschlissenen Karma Chakhs den Studierenden zu wenig Wertschätzung entgegen bringe.
Wir haben erstmal das gemacht, was man machen sollte, wenn man gemeinsam arbeiten will: Frühstücken. Dann haben wir aufgeräumt. Kaputte Stühle entsorgt. Müllecken entfernt. Plakate und Altlasten aus dem Vorjahr von der Wand genommen. Garderobe eingerichtet, damit es zumindest einen Ansatz von einer Willkommensgeste gibt. Die Couch aus dem Untergeschoss in unseren Seminarraum getragen und zu einer Lounge gruppiert. Wir haben eine Wand gebaut, wo wir Ideen sammeln. Es gab Leute, die mitgemacht haben, die Muffins gebacken haben, es gab Leute, die nur zugesehen haben und nicht mitgeholfen haben. Ja so ist es halt mit den Menschen. Es gibt Engagierte und die anderen. Diesen Raum gilt es zu verstehen und zu gestalten. Die #OpenAcademy nimmt Formen an.
Mit großem Bauchweh habe ich mich in einer Studienratssitzung unter den Profs für eine Aufgabe bereit erklärt, für die noch ein freiwilliger Prof gesucht wurde: Mappensichtung. Ich werde bald zu den Menschen gehören, die mit ihrem Daumen darüber entscheiden, wer die 80 von den 100 Bewerbern sein werden, die nicht zum Club gehören dürfen. Frontex nur auf Intellektuell sozusagen. Genau das, was ich eigentlich bekämpfen will. Elitenbildung. Ausschluss. Exklusivität. Status Quo Erhalt. Doch aus Respekt vor meinen Professorenkollegen habe ich dem zugestimmt. Ich wundere mich, dass diese sich noch nicht gewundert haben, warum man im 21. Jahrhundert sich überhaupt mit einer Mappe bewerben muss. Wenn es nach mir ginge reicht ein Link zu einem Online Portfolio oder die Google Beiträge eines Bewerbers. Diese Art der Mappenbewerbung kommt aus einer Zeit, als es noch kein Internet gab und keine Filme. Wie soll ich denn als Kreativer eine gestaltete Internetseite, einen Blog, eine Crowdfunding-Kampagne, eine Petition, eine Facebookgruppe, ein instagram-Portfolio oder einen Film zeigen in einer Mappe? Oder ein Animated GIF, eine App, eine Minecraft-Welt vorführen, wenn mir das Medium Internet verweigert wird? Die Bewerber sollen ihre Internetseiten ausdrucken und Filme als CD der Mappe beilegen. Diese Aufforderung muss aus einer Zeit stammen, als es noch CD Laufwerke gab. Also ich hab keines mehr an meinem Laptop. Tja, was mache ich denn da bloß in dieser Mappenkommission? Mitmachen, nicht aufmucken, nicht auffallen, meine Kollegen nicht verärgern?
Ich weiß es einfach nicht. Das richtige Leben im Falschen System funktioniert nicht, wusste schon der Philosoph Adorno.
Ich hatte die Freiheit zu entscheiden, niemand zwingt mich in die Mappenkommission. Aber irgendwie hat mich mein Pflichtgefühl dazu verleitet, meinen Profkollegen zu helfen. Sie sind ja auch die Crowd.
Heute in der Berliner Zeitung lese ich einen Kommentar von Arno Widmann über Freiheit, anlässlich der Charlie Hebdo Massaker in Paris, wo die Pressefreiheit das große Thema ist.
"Die Freiheit ist nicht einfach da. Sie ist keine Festung (...). Die Freiheit ist ein Prozess, an dem mehr und mehr Bürger teilnehmen. Jeder, der neu hinzukommt, muss die Freiheit als eine Chance erleben, sich einzubringen. (...) Er wird aber auch lernen, dass die Freiheit auch immer die der Andersdenkenden ist."
Weiterführende Links:
Christof Struhk Interview: http://youtu.be/OqrvdctNi1E
Glaubensbekenntnis Speakout: http://m.youtube.com/watch?v=Jg27QbmzCCU&feature=youtu.be
Die Berliner Zeitung schreibt über meine Professur
http://mobil.berliner-zeitung.de/kultur/van-bo-le-mentzel-der-professor--der-jedem-studenten-eine-eins-gibt,23785224,29467728.html