Der arme Pangolin
Der arme Pangolin
Nein, es geht bei diesem Song nicht um Tierschutz. Oder im Grunde doch. Denn wir wissen, dass die großen Themen unserer Zeit, alle Faktoren, die uns in rasendem Tempo gen Dystopia steuern, verknüpft sind: der Klimawandel, das Artensterben, der unaufhaltsame Machtgewinn der Populisten und der damit verbundene Rechtsruck weit in die Mitte der Gesellschaft. Unter dem Dirigat der Wirtschaftspolitiken als Treiber des ganzen Geschehens. Das volle Paket. Unterfüttert von absurden Verschwörungstheorien, die einen an der Vernunftsbegabtheit der menschlichen Spezies zutiefst zweifeln lassen. Zum Pangolin: es gehört zu den Schuppentieren, Urzeitwesen, in ihrem Bestand bedroht und international geschützt. Hauptsächliche Ursachen für die Bedrohung sind der Verkauf des Fleisches als Delikatesse einerseits und die Verwendung der Schuppen sowie anderer Körperteile in rituellen Bräuchen und in der Chinesischen Medizin. Das Pangolin wird nicht nur intensiv bejagt, sondern gehört auch zu den am häufigsten illegal gehandelten Säugetieren weltweit. Ganz zu Beginn der Corona-Pandemie verbreitete sich die Nachricht, dass eben jenes arme Gürteltier, illegal angeboten auf dem berüchtigten Wildtiermarkt in Wuhan, der Träger des Sars-CoV- 2 Virus sei. Der perfekte Sündenbock. In dieses Bild können unendlich viele rassistische Ressentiments einfließen. Gleichzeitig ist es aufregend, exotisch und geheimnisvoll. So funktioniert Gerücht. So funktioniert Hetze. Mit der Angst vor dem Fremden wird dann ein feines Süppchen zubereitet. Vielmehr ein Eintopf. Auch bei mir hat es funktioniert. Aber genau umgekehrt! Dieses Opfer-Tier hat mich sehr berührt. Es hat mich umgehauen. In seiner süßen Erscheinung, in seiner Eigenart, sich einzurollen und sich damit, geschützt durch seine dicken Schuppen vor allen zu schützen. Außer vor den Menschen. Und es wurde für mich, in dem Kontext, in dem ich es kennenlernen durfte, zum Symbolträger des Missbrauchs, zum Spiegel, in dem die großen Themen, die uns in die Dystopie führen, munter miteinander um die Wette glitzern.
Der arme Pangolin
Du armer, armer Pangolin,
wo ist Dein Renommee nur hin?
Das macht doch alles keinen Sinn.
Für wen steckt was wofür da drin?
Das frag ich mich, oh Pangolin.
Du lebst auf Erden lange Zeit,
mit Schuppen dick, ein Gürteltier,
droht Dir Gefahr, rollst Du Dich ein,
kein andres Tier kann Böses Dir.
Doch gibt’s ein Wesen auf der Welt,
das sich für ihre Krone hält.
Es nennt sich Mensch, es nennt sich Mensch,
und liebt es, Dich zu jagen.
Du bist ihm Wundermittel,
bist Yummi und ein Zaubertier.
Er fängt dich gern lebendig und
raubt zuletzt die Schuppen dir.
Final schenkt er dir Schuld, Ruhm, Sühne:
wirst Virusträger auf der Bühne.
Und die Kinder der Meister aller Tötungsverfahren
stehen da nach 70 und fünf Jahren,
vereint und gesammelt, ihre Freiheit zu wahren e
danser encore über Leichen auf Bahren.
In Dummheit und Wut siehst Du verschmelzen
die Nazis und Bazis mit Ökos und Esos, Madame und Monsieur.
Zu früh gefreut, oh Pangolin,
von einer Wende nur geträumt.
Wie hast du vor Dich hin gelacht,
dass jeder sich verhüllen muss,
kein Schleier macht Dir mehr Verdruss,
das Händegeben ist kein Muss,
um mit im Deutschen Wohlstandsparadies zu schweben,
in Überfluss und ohne Sinn im Leben,
nach mehr und mehr und noch und noch mehr streben.
Du armer, armer Pangolin,
wo ist Dein Renommee nur hin?
Das macht doch alles keinen Sinn.
Für wen steckt was wofür da drin?
Das frag ich mich, oh Pangolin.
Copyright:
Ira Blazejewska, Juli 2020