Lust und Unlust
Lust und Unlust
Als Ira mich bat einen Beitrag über „Lust und Unlust“ zu schreiben, fiel mir spontan die letzte Zeile aus Nietzsches „Zarathustra“ ein: „Doch alle Lust will Ewigkeit –,– will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
Dieser Satz wirkte immer magnetisch auf mich, auch wenn ich ihn irgendwie kontra-intuitiv fand. Was meint denn das – Lust will Ewigkeit? Das Wort Lust schien mir immer trivial, kurzlebig und frivol. Dazu habe ich Lust. Yo, hab ich echt Bock zu. Lust habe ich auf Pommes und Currywurst. Das Wort Lust scheint so klein, man wendet es nicht mal mehr auf sexuelle Begierde an, was seine ursprüngliche und zweite Bedeutung ist – Lust als „Wollust“. Man sagt nicht: „Oh ich habe echt Lust auf ihn”, wenn man jemanden begehrt. Das klingt ein bisschen zu dürftig. Ich konnte mir aber auch nicht vorstellen, dass Nietzsche meinte, alle „Wollust” wolle Ewigkeit, denn die ist ja bekannter Weise etwas kurzlebig im Vergleich zur „richtigen“ Liebe. Aber vielleicht funkt da schon mein platonisch und christlich gehirngewaschenes Denken dazwischen und der große Atheist hätte mich eines besseren belehrt.
Ich habe dieses Gedicht aus dem „Zarathustra“ auch einmal auf Englisch in der Übersetzung von Graham Parkes gelesen. Die Übersetzung des letzten Satzes lautete: “Yet all joy wants Eternity—,—wants deepest, deep Eternity!”
Das hat mich geärgert., denn das ist falsch. Zwar verstand ich nicht warum Nietzsche das Wort „Lust” wählte, aber ich war mir absolut sicher, dass er nicht „joy” meinte. Sonst hätte er geschrieben: Denn alle Freude will Ewigkeit. Und das passt gar nicht Er würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das wüsste. Die puritanischen Anglo-Saxen sind halt so sexuell repressiv, dass sie „Lust” nicht schreiben wollen, weil sie das zu anrüchig finden.
Nein. Für Nietzsche war wirklich das Wort Lust so wichtig, dass er sein opus magnum damit endete. Aber warum?
Hier ist es sinnvoll zunächst über “Unlust” nachzudenken.
Wenn ich in mich hinein fühle, was “Unlust” bewirkt, dann stelle ich fest, dass die Unlust mit einem stärkeren Gefühl verbunden ist als die Lust. Unlust enthält etwas Totes, man fühlt sich beklemmt, vernichtet, fühlt Unbehagen. Das macht auch Sinn: Wir wissen aus Kahneman und Tversky’s Prospect Theory, dass Menschen größere Scheu vor Verlusten haben als vor Gewinnen. Sie empfinden Risikoaversion.
Aversion ist aber immer ein Gefühl: Unbehagen, Beklemmung, Traurigkeit. Unlust eben. Unlust hält uns davor ab, etwas das wir als unangenehm beurteilen zu tun oder zu wiederholen.
Evolutionär macht es Sinn, eine größere Scheu vor Verlusten zu haben, denn Verhaltensfehler waren einmal mit Gefahr und schnellem Tod verbunden. Das Nicht-Eintreten von Gewinnen konnten unsere Vorfahren eher verschmerzen, Fehler dagegen konnten sie sich nicht so viele erlauben. Wenn unser Urahne Lust hatte, das schöne Fell eines Säbelzahntigers seiner Liebsten zu Füßen zu legen, war der Gewinn aus dem schönen Fell vielleicht weniger wichtig, als der Fall der Fälle, dass der Säbelzahntiger ihn stattdessen verspeisen würde.
Aber vielleicht erlaubt mir die Vorstellung der Unlust, die wegen ihrer größeren bewussten Verfügbarkeit eine klarere Dimension darstellt, auch die Lust besser zu verstehen – als das Gegenteil der Unlust nämlich.
Denn wenn die Unlust das Gefühl ist, das alles begleitet, von dem wir wünschen, dass es nicht passiert, nämlich ein Gefühl von Beklemmung, Einschränkung, Furcht und Tod, dann ist die Lust das genaue Gegenteil: Offenheit, Ausweitung, Freude und Leben. Lust ist das Gefühl von Leben. Lust zeigt mir: „Ich lebe”.
Und wenn Nietzsche aus seinen eisigen gedanklichen Höhen, die nur er aushalten konnte, auf den ewig wiederkehrenden Teppich des Lebens hinuntersah und die großen Kräfte, die alles bewegen, betrachtete, dann mag er die Lust als die gefühlsmäßige Manifestation aller Energie, die das Leben vorantreibt, erkannt haben. Also, als den ewigen Urtreibstoff.
Robert Musil sagte einmal so ungefähr (habe das Zitat nicht gefunden): Ich will allem nähertreten, was das Leben in mir verstärkt, und allem aus dem Weg gehen, was es verringert.
Das ist eine gute Idee. Wenn wir Lust in uns spüren, dann spüren wir Leben. Um so mehr wir die Lust in uns kultivieren, umso lebendiger sind wir.
Doch Lebendigkeit ist die einzig existierende wirkliche Währung.
Uff, geschafft. Jetzt höre ich mir Iggy Popp’s „Lust for Life“ an und rauch erstmal ne Zigarette….
Ina von Haeften, Ph.D.