Ruanda: Weltweiter Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung
Liebe*r Unterstützer*in,
heute möchte ich dir die Situation von Frauen in Ruanda näher bringen. Das Land gilt als Musterbeispiel der Frauenrechte, doch dieser Status ist teuer erkauft und die Situation der Frauen ist vertrackter als es zunächst scheinen mag.
Das kleine Land Ruanda nimmt in Gleichberechtigungsfragen eine Vorreiterrolle ein.
2003, nicht einmal zehn Jahre nach dem Genozid, löste Ruanda Schweden als Land mit den meisten weiblichen Vertretern in der Gesetzgebung ab. Noch heute ist es mit 61,3 Prozent Frauenanteil weltweiter Spitzenreiter und das einzige Parlament, in dem die Frauenquote deutlich über 50 Prozent liegt.
Im Jahr 2007 gewann Paul Kagame den African Gender Award. Das Komitee zeichnete den Präsidenten damit insbesondere für die diversen Programme aus, die er nach dem Genozid zur Unterstützung von Frauen aufgesetzt hatte. Dazu gehören unter anderem die Gründung eines Gender Ministeriums (MIGEPROF) sowie die Unterstützung von Frauenbeiräten auf lokaler Ebene, Landkreisen und Bundesländern und die Etablierung eines Wahlsystems mit Frauenquote für das nationale Parlament.
Die Implementierung von Gendernormen in Gesetzen und innerhalb aller staatlichen Strukturen ist bis heute Kernaufgabe des Ministeriums. Eine Frauenquote von 30 Prozent ist für jedes entscheidungsgebende Gremium vorgesehen. Mithilfe von Trainings, Finanzierungsmöglichkeiten und Bildungsprogrammen für Mädchen und Frauen, insbesondere in technischen Berufen, soll eine allgemeine Verbesserung der Gender Equity erreicht werden. Innerhalb der UN Women-Kampagne „He for She“ werden Männer für das Thema Gleichberechtigung sensibilisiert.
Doch trotz alledem ist die Rolle der ruandischen Frau verstrickter, als man zunächst meinen mag.
Die Rolle der Frau in Ruanda: Geschichtliche Entwicklung
Es war insbesondere der Einfluss der Kolonialmächte, der die ursprünglich starke Rolle der Frau kulturell entmachtete. Nach Abzug der Belgier während der ersten ruandischen Republik wurden erste Frauenzentren (foyers sociaux) gegründet, die die weibliche Landbevölkerung bei Alphabetisierung und Gesundheitsfragen unterstützten und weiblichen Angestellten Aufstiegs- und Führungsmöglichkeiten boten.
Während in Ruandas zweiter Republik Frauen weitestgehend von Führungsposition in Ministerien usw. ausgeschlossen wurden, wuchs ihre Stellung in Kooperativen und kirchennahen Gruppen, die dank internationaler Finanzierung und technischer Hilfe für die ländliche Bevölkerung entstanden. Nach der UN Conference on Women 1985 in Nairobi, Kenia, wuchs die Zahl von Frauenvereinigungen rasant an. Unter dem Druck dieser Bewegungen gründete Präsident Habyarimana erstmals ein Ministerium für Frauen, welches sich für die wirtschaftliche Entwicklung und Unterstützung von Frauen und Kindern einsetzte. Mit ihm als Präsident wurde 1993 Agathe Uwilingimana als erste Frau Premierministerin. Als demokratisch orientierte Hutu-Sprecherin war sie eines der ersten Opfer des Genozids.
Frauen als Opfer des Genozids
Ruandas Frauen sind in unterschiedlicher Weise vom Genozid betroffen – einzelne Frauen aufgrund ihres Geschlechts, viele durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Tutsi-Frauen waren besonders gefährdet, viele wurden getötet, verfolgt und vergewaltigt, verloren Ehemänner, Schwestern, Brüder, Väter oder Kinder.
Es kam aber auch zu gruppenunabhängiger Gewalt an gebildeten, der Elite zugehörigen Frauen, Hutu-Frauen, die Tutsi-Familien unterstützten oder politisch motivierten Übergriffen an gemäßigten Hutu-Frauen. Außerdem sind Übergriffe an Hutu-Frauen notiert, in denen Rwanda Patriotric Front (RPF) auf gleiche brutale Weise Vergeltung an den Verbrechen an den Tutsi-Frauen suchten.
Für alle Frauen Ruandas bedeutete der Genozid Störung oder Zerstörung ihrer Leben, ihrer Familie und ihrer minimalen ökonomischen Sicherheit. Viele von ihnen hinterließ der Genozid traumatisiert oder mit körperlichen und seelischen Verletzungen.
Nach dem Genozid
Die Zeit kurz nach dem Genozid war von Verlust, Angst, Unsicherheit, Wut und manchmal auch dem Wunsch nach Rache geprägt. Soziale Vertrauensverhältnisse wie Nachbarschaft und Freundschaft waren zerstört. Die traumatischen Erlebnisse und das Gefühl niemandem außer der engsten Familie vertrauen zu können, führte zur Isolation vieler Frauen – besonders Witwen.
Die wirtschaftliche Situation, gerade von Familien mit weiblichem Oberhaupt war prekär. Viele Frauen mussten sich der vollständigen Zerstörung ihres Besitzes stellen, ohne einen Platz zu haben, wohin sie und ihre Kinder hätten gehen können. Armut machte es schwer für überlebende Verwandte und Kinder zu sorgen. Trotzdem nahmen viele Frauen zusätzlich Kinder auf, die der Genozid zu Waisen gemacht hatte. Meist waren sie die Kinder von Verwandten und Freunden, oft aber auch schutzlose Straßenkinder. 1999, fünf Jahre nach dem Genozid, lebten 70 Prozent der Ruander unter der Armutsgrenze. Alleinerziehende Frauen waren besonders stark von Armut bedroht.
Während die Tutsi-Frauen die Rückkehr in ihre alte Nachbarschaft fürchteten und ihrem Umfeld misstrauten, waren Hutu-Frauen verunsichert in ihrer generalisierten Rolle als Täter. Frauen von Genozid-Tätern hatten nicht nur mit dem sozialen Stigma zu kämpfen, sondern auch mit der Erwartung, ihre Männer in zum Teil weit entfernten Gefängnissen mit Essen zu versorgen. Dies war sowohl zeitlich als auch finanziell oft schwer zu bewerkstelligen.
Witwen gemischter Ehen hingegen stießen auf Zurückweisung aus den familiären Kreisen des verstorbenen Mannes. Für sie war es schwer, Unterstützung zu bekommen und gegebenenfalls den Besitz des Mannes zurückzuerlangen.
Während des Genozids fanden schätzungsweise 200.000 Vergewaltigungen statt. Viele vor den Augen der Familien der Frauen, um diese noch tiefer zu erniedrigen und mental zu zerstören. Überlebende dieser grausamen Praktik werden als lebende Tote beschrieben. Manche Tutsi-Frauen wurden als Sexsklaven von Hutu-Männern gehalten. Langzeitfolgen wie Traumata, chronische Schmerzen, Aids, sexuelle Verstümmelung und ungewollte Schwangerschaften zeichnen das Leben der Opfer noch heute. Das Stigma eine Vergewaltigung ist zudem groß. Nur wenige Frauen trauen sich offen über Erlebtes zu sprechen, weil sie die gesellschaftliche Verurteilung fürchten. Laut Human Rights Watch sind viele dieser Verbrechen bis heute ohne Strafverfolgung.
Auch Kinder, die aus diesen Verbrechen entstanden sind, sind gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. „Teufelskinder“, „Kinder schlechter Erinnerung“ und „kleine Interahamwe“ werden die schätzungsweise 5.000 Kinder genannt.
Frauenorganisationen kam in dieser schwierigen Zeit eine wichtige Rolle zu. Sie halfen bei Kleidung, Essen, Obdach und konnten so die Zerstörung der Sozialsysteme im Genozid ein wenig abfedern. Beispielsweise konnte die Mikrofinanz-Kooperative Duterimbere, die im Gegensatz zu regulären Banken angelegtes Geld während des Genozids nicht verloren hatte, ihren weiblichen Mitgliedern erste Unterstützung leisten. Das Kreditsystem von Duterimbere half insbesondere Witwen beim Wiederaufbau. Aber auch andere Frauenorganisationen nahmen wichtige Rollen beim Wiederaufbau ein.
Außerdem reisten Mitglieder der Organisationen in die Flüchtlingscamps in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), Tansania, Burundi und Uganda, um ihre verlorenen Mitglieder zur Rückkehr nach Ruanda zu bewegen, da sie Register über ihre Mitglieder geführt hatten.
In den kommenden Jahren kam diesen Frauen eine bedeutende Rolle beim Wiederaufbau des Landes zu. Frauen machten 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung aus. Viele Männer waren gestorben oder verbüßten ihre Strafen im Gefängnis, sodass Frauen zunehmend Führungsverantwortung übernehmen mussten und konnten. Selbst in ländlichen Gebieten gab es immer mehr Frauen, die sich als Gemeindevertretung für andere Frauen einsetzten. Auch übernahmen Frauen Aufgaben und Berufe, die vor dem Genozid für sie nicht angemessen gewesen waren, so zum Beispiel Dachdeckerarbeiten, Melken, Bauarbeiten am Haus oder eine Anstellung bei der Regierung. Doch diese Verbesserungen in Gender-Fragen bei der Berufswahl mussten teuer erkauft werden. Das fehlende Einkommen der Männer belastet viele Familien schwer und vergrößerte die Arbeitslast der Frauen.
Gender Equality in Ruanda heute
Durch die Arbeit des ruandischen Ministeriums für Gender sowie von diversen nichtstaatlichen Bildungsprogrammen ist die Idee von Gender Equality in Ruanda weitestgehend anerkannt. Ruanda gehört zu den nur fünf Ländern weltweit, in denen die Gender Gap zu mehr als 80 Prozent geschlossen ist.
Frauen und Mädchen profitieren von einem gleichberechtigten Zugang zu Bildung, auch wenn sie vor allem in den Ingenieurwissenschaften noch unterrepräsentiert sind. Berufstätige Frauen werden durch einen dreimonatigen bezahlten Mutterschaftsurlaub unterstützt. Eine 50 Prozent-Verteilung von Einkommen und Besitztümern, die in der Ehe erworben wurden, ist mittlerweile üblich und gesetzlich abgesichert. Auch wird die Position von Frauen im Falle von Erbfällen seit dem Genozid zunehmend gestärkt. Seit 2016 haben Witwen selbst dann vollständigen Anspruch auf das Eigentum des Verstorbenen, wenn die Ehe kinderlos geblieben ist. Zuvor hatten kinderlose Witwen 50 Prozent des Besitzes geerbt, die restliche Hälfte ging an die Familie des Verstorbenen.
Dennoch ist die Arbeit lange nicht beendet. Häusliche Gewalt gegen Frauen ist in Ruanda verhältnismäßig hoch. Und auch Frauen aus ländlichen Gegenden müssen speziell gefördert werden. Das Ziel der UN, bis 2015 50 Prozent der Frauen in bezahlte Arbeit außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors zu beschäftigen, konnte nicht erreicht werden. Und das obwohl gerade außerhalb des landwirtschaftlichen Sektors die Gender Gap wächst.
Trotzdem – mit 87 Prozent Arbeitskraft hat Rwanda die höchste Arbeitsbeteiligung von Frauen weltweit. In den USA arbeiten beispielsweise nur 56 Prozent aller Frauen. Auch die Bezahlung ist verhältnismäßig fair: Rund 88 US-Cent verdienen Ruandas Frauen im Vergleich zu 1 US-Dollar eines männlichen Kollegen. In den USA liegt dieser Wert bei 74 Cent.
Frauen im Kaffeesektor
Auch in Ruandas Kaffeesektor hat Gender Equality Einzug gehalten. Laut Angelique Karekezi, Chefin der Kaffeerösterei RWASHOSCCO und Vorstand des Rwanda Chapter der International Women in Coffee Association (IWCA), werden Entscheidungen und Finanzplanung in vielen Familien gemeinsam verantwortet.
„Wie überall auf der Welt gibt es aber natürlich auch Männer, die die Idee von Gender Equality nicht unterstützen. Das hängt oft auch mit ihrem Bildungshintergrund zusammen“ sagt die Frau, die selbst an der Spitze eines erfolgreichen Unternehmens sitzt.
„Grundsätzlich denke ich aber, dass die Idee von Gender Equality in Ruandas Kaffeesektor schon weit verbreitet ist. Das liegt nicht zuletzt an der Bildungsarbeit, die wir in den Kooperativen, in der ruandischen Regierung und mithilfe von NGOs leisten. Familien müssen verstehen, dass sie zusammenarbeiten müssen, um sich finanziell besser aufstellen zu können.“
Ungerechte Arbeitsaufteilung, wie sie in einigen anderen ostafrikanischen Ländern zu finden ist, kann Angelique nicht bestätigen: „Ich sehe meist Männer und Frauen gemeinsam auf den Feldern arbeiten. Was ich jedoch beobachte ist, dass viele Männer das Düngen übernehmen, wohingegen es meist Frauen sind, die die Bohnen sortieren.“
Um die Teilhabe von Frauen entlang der kompletten Kaffeewertschöpfungskette zu fördern, unterstützen wir die Gründung von Frauengruppen in unseren Partnerkooperativen und helfen den Frauen dabei, Absatzmärkte zu erschließen. Denn aktuell leisten Frauen den größten Teil der Arbeit, jedoch in den schlecht bezahlten Jobs am Anfang der Kette. Rösten und Handel sind weitgehend in Männerhand. Es gibt also noch einiges zu tun.
[Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Lilith Schardt]