Noch 17 Tage...
Liebe Freunde,
heute möchte ich euch einen Brief lesen lassen, den Marie Jaëll an ihre enge Freundin Goswina von Berlepsch , eine in Erfurt geborene Schriftstellerin, die in der Schweiz und Österreich gelebt hat, geschrieben hat. Dies ist einer von über 50 Briefen und ich dachte, dass ihr vielleicht ebenfalls von der Kraft und Leidenschaft berührt seid, die aus diesen Briefen spricht.
Zur Zeit schreibe ich an meinem Text über Marie Jaëll, den ich in meinen Konzerten lesen werde , denn am 12. April ist es weit und ich spiele zum ersten Mal "
Marie Jaëll, die unbekannte Seelenverwandte".
Vielleicht möchtet ihr mir schreiben, wie der Brief auf euch gewirkt hat? Ich würde mich sehr freuen. Im Übrigen steht der Name Coquelicot ( Klatschmohn) für Marie. Sie nennt sich selbst so, warum, das weiß ich noch nicht, werde es aber noch herzufinden!
Eure Cora
München 1.9.1884
O Gossi! Welche Fülle, welche Überfülle in mir!!! Ich bin kein Weib, ich bin ein dunkler Feuersprühender Vulkan und so ist es recht, so muss es sein, so nur kann ich wachsen denn momentan allein fasst mich alles zerstörende Unruh, im selben Augenblick schon ist alles still, unbeweglich, groß! Es ist als ob Sturm und Ruhe stets aufwärts und abwärts sich regende Wellen bildeten; in der selben kommt Seligkeit und Hölle über mich, von dem Einen schwinge ich mich zum Anderen als berührten sich diese getrennten Mächte.
Oh mein Gossi, meiner Natur nach müsste ich groß sein nach außen.
Es wird noch kommen, sonst wäre mein Dasein seiner Berufung nicht würdig-
Fühlst Du Gossi, dass mein tobendes Wesen eine Kraft enthält? Ich werde zur Erkenntnis kommen, mein Geist trinkt tief an den Quellen des Schönen, soll er nicht endlich, endlich das Kraftvolle erreichen?
Könntest Du ahnen wie voll ich genieße alles was Kunst, Poesie, Natur heißt, zum hohen denken schwinge ich mich hinauf, als sei es mein eigenes Denken, mein eigenes Fühlen, nie scheint es mir ein mühsames Folgen aber ein mächtiger Flug, in dem sich uns alles erschließt als erhellte Sonnenschein die unsichtbaren Welten.
Oh Gossi. Ich lerne endlich mich selbst kennen. Es ist Himmelslust - und Höllenfeuer. Doch das Auge der Vernunft späht in diese Schlünde, das erst ist das „Schöne“.
Dein Coquelicot.