Leseprobe aus "Golden State of Mind"
Stella wollte noch etwas sagen, aber zum Glück wurde in diesem Moment mein Name aufgerufen: „Demetria Natalie Shaw, Rebecca Shirley, Justin Fredrick Tackett.“
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass wir schon die ganze Zeit in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen wurden. Stellas Nachname musste weit hinten im Alphabet stehen. Außer uns saß nur noch eine Handvoll Menschen im Raum.
Ich ging in das Büro. Rebecca, Justin und ich, wir alle sahen uns unsicher an. Doch schon nach wenigen Sekunden verschwand dieser Blick, denn in so einer Situation durfte man nicht unsicher aussehen. Der Casting-Direktorin fiel es natürlich trotzdem auf. Klar, sie musste die feinsten Züge von Emotionen erkennen. „Uns läuft die Zeit davon, wir müssen schneller machen. Also drei von euch auf einmal“, erklärte sie die Maßnahme. „Stellt euch auf!“
Wir drei Kandidaten stellten uns in einer Reihe auf. Wir sollten unsere Bewerbungsunterlagen nochmal angeben, unsere Namen in die Kamera nennen und dann direkt loslegen. Der Praktikant der Produktionsfirma würde heute Dorianth verkörpern. Innerlich musste ich darüber schmunzeln, denn er sah so jung und unschuldig aus. Andererseits tat Nick Morgan das für sein Alter auch und das machte die Rolle erst so interessant. Als wäre Peter Pan jetzt selbst Pirat geworden. Der Praktikant hielt uns eine Spielzeugwaffe vor die Nase, wir Geiseln sollten schreiend in die Ecke rennen. Wenn der erste Schuss ertönte, mussten wir mucksmäuschenstill sein. Dann durfte nur noch das Gesicht sprechen, und die heftige Atmung und die zitternde Körperhaltung. So viel zur Regieanweisung.
Schon die Atmosphäre des Raums, mit den Filmpostern an der Wand, der aufgestellten Kamera und den verwendeten Begriffen zog mich mit voller Macht zurück in die Filmwelt. Ich sah mich schon mit Nick Morgan über den roten Teppich schreiten. Er posierte zurückhaltend, aber professionell. Ich machte es ihm nach, nur selbstbewusster. Blitzlichtgewitter. Champagner auf der Aftershowparty. Whiskey auf Eis auf der
Afteraftershowparty. Ich auf seinem Schoß, während er noch eine Flasche orderte. Ich merkte gar nicht, wie sich meine Haltung so veränderte, dass sie perfekt zur reichen, eingebildeten Erbin passte.
Dann startete der Praktikant seinen Überfall. Sofort war ich voll drin. Er schrie. Ich demonstrierte Todesangst.
Man könnte meinen, das sei schwierig darzustellen.
Aber das war es nicht. Einerseits würde ich behaupten, dass ich durch die Schauspielschule geübt genug war. Die Bühnenscheu hatte ich vor langer Zeit abgelegt. Andererseits spielte ich hier eine Rolle, dich mich in das Leben meines größten Celebrity Crushs bringen konnte. In so einem Moment schauspielerst du nicht mehr. Dann ist es echt.
Na gut, die Situation ist vielleicht eine andere. Ich wurde nicht wirklich gleich von einem Weltraumpiraten erschossen. Aber die Intensität der Gefühle ist echt. Das innere Beben und die Verzweiflung. Die überbrodelnde Motivation. Die hellwache Aufmerksamkeit. Alles, was dich in solchen Momenten packt – es funktioniert. Kanalisiere es in das, was im Skript steht (oder sich aus der Improvisation ergibt) und nichts kann dich mehr halten.
Hätte ich damals doch schon gewusst, dass … ich fing einen Gedanken an, der mich seit Jahren ärgerte und da kam die Wut. Die Wut, die auch unterschwellig in der Erbin pulsierte, die sich so auf diesen Tag gefreut hatte. Jetzt war er ruiniert. Die Erbin funkelte Dorianth finster an. Ihre Zähne waren zusammengebissen. Sie zwang sich, still zu sein. Wenn sie noch einen Ton von sich gab, war sie tot.
Erst als die Casting-Direktorin „Genug!“ rief, realisierte ich wieder, dass Menschen neben mir standen und eine Kamera auf mich gerichtet war. Mein Blick war vorher nur auf den, zugegebenermaßen hübschen, Praktikanten gerichtet gewesen. Er hing mir halb im Gesicht. Ich grinste ihn nun wissen an, denn ich hatte erkannt: Auch er machte sich insgeheim Hoffnungen, Schauspieler zu werden. Genau wie ich hatte er alles gegeben. Zwischen uns pulsierte eine Spannung, mit der man Autobatterien starten könnte. Ebenso pulsierte mein Knie. Ich hatte mir beim Zurückrutschen auf dem Boden Schürfwunden zugezogen und hatte es nicht einmal gespürt.
Ich blieb sitzen wie festgeklebt und drehte nur den Kopf in Richtung Schreibtisch. Die Direktorin nickte kurz anerkennend. Hieß das, es hatte ihr gefallen?
Mehr Informationen bekam ich heute nicht. Ich war hier keine Besonderheit und musste auf meine Antwort warten wie alle anderen auch.
