Die ersten Auswärtsspiele und eine lange Spielpause
Hej Handballinspiratorin und -inspirator,
vor gut einem Jahr endete das Crowdfunding zur Handballweltreise und gerne möchte ich diese Zeilen dazu nutzen, euch vom letzten Blogartikel abzuholen und mit auf meine Zeit durch Norwegen und Dänemark zu nehmen.
Nachdem ich meine A-Trainer Lizenz des DHB erfolgreich abschließen konnte, bin ich in den hohen Norden nach Oslo gefahren. In dieser bezaubernden Stadt konnte ich den Schweizer Viktor Glatthard kennenlernen und ihm bei seiner Handball-Karriere beim Haslum HK über die Schulter schauen. Bei den dortigen Sportschulen WANG und Otto Treider konnte ich einen ersten Eindruck von der norwegischen Nachwuchsarbeit gewinnen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Tempospiel und intrinsischer Motivation. Besonders ein Gespräch mit Prof. Christian Thue Bjørndal an der NIH - Norwegian School of Sport Sciences - hat mir klar gemacht, dass Norwegen von Innen heraus funktioniert und sehr viel auf die Eigenverantwortung gesetzt wird.
Durch Besuche beim norwegischen 2. Ligisten HK Herulf konnte ich Igor Koprivica und Patrick Braarud kennenlernen. Beide haben mir einen tollen Einblick in die Breite des norwegischen Handballs gewährt und mir den Kontakt zum ehemaligen norwegischen Nationaltrainer Robert Hedin gegeben. Bereits kurze Zeit später habe ich Robert und seine Mannschaft, das Nøtterøy Handball Team, in der ältesten Stadt Norwegens Tønsberg getroffen.
Dort durfte ich dann ein absolutes Highlight meiner Handball-Weltreise erleben, denn beim 1. Auswärtsspiel der Saison war der Co-Trainer von Robert nicht verfügbar und ich konnte die Mannschaft mit meinem Fachwissen aktiv unterstützen. Gemeinsam mit Robert haben wir die Videoanalyse vorbereitet, den Matchplan entwickelt und 2 Tage später saß ich auf der Bank in Norwegens 2. Liga. Mit 28:34 konnten wir das Spiel und ich unvergessliche Eindrücke gewinnen.
In Tønsberg habe ich dann auch Zarko Pejovic bei seiner 1. Liga Damenmannschaft Flint und bei seiner Nachwuchsarbeit bei der WANG begleitet. Die halb staatlich/halb private Sportschule WANG gibt Norwegen einen unheimlichen Vorteil in der Jugendarbeit. Denn dort wird nicht unter der Schirmherrschaft eines Clubs Jugendarbeit betrieben, sondern frei von Interessen den Spieler:innen eine bestmögliche Entwicklung garantiert.
Nach kurzweiligen 5 Wochen in Norwegen habe ich meine Reise anschließend nach Dänemark fortgesetzt und Handball-Legende Bjarte Myrhol in Skjern besucht. Bjarte ist Kapitän der norwegischen Nationalmannschaft und zu dem Zeitpunkt meines Besuches schwer an der Schulter verletzt gewesen. Im Gespräch mit ihm war es nicht klar, ob er rechtzeitig für die WM in Ägypten wieder fit wird und seinem Land helfen könne. Es war schön zu sehen, wie jemand mit 39 Jahren immer noch hart dafür arbeitet, um wieder auf der Platte stehen zu können. Ich war dann später im Januar sehr froh, ihn im Trikot seiner Nationalmannschaft im Fernsehen zu sehen.
Bei der SHEA - Skanderborg Handball Elite Akademie - habe ich Einblicke in eine der besten Jugendakademien der Welt genießen und gerade vom Trainer Mikkel Voigt Frederiksen einiges zur dänischen Nachwuchsarbeit lernen können. Besonders die dänische Passtechnik hat mich vor meiner Reise fasziniert und ich hatte einige Fragen im Gepäck. Ich bin nun um einiges schlauer und weiß, dass die Dänen folgende Punkte befolgen. Das Passtraining soll stets:
- zielgerichtet zum Tor
- spielnah mit Körperkontakt
- variabel und mit Entscheidungen umgesetzt werden
Eine Methodik, die mich mein restliches Trainerleben stets begleiten und meine Erwärmungszeit noch effizienter gestalten wird.
Die vorerst letzte Station in Dänemark sollte das Team Esbjerg sein. Der Champions League Teilnehmer wird von Jesper Jensen trainiert, welcher auch gleichzeitig die dänische Frauennationalmannschaft trainiert. Neben dem Interview mit Jesper war es schön zu sehen, wie selbst auf diesem hohen Niveau der Trainer in die Bresche springen muss, wenn sich keine gesunde Torhüterin mehr im Training befindet. Denn dann stand Jesper selbst im Tor und hat seine Weltmeisterinnen und dänische Meisterinnen vor einige Probleme gestellt. Es hat mir auch wieder klar gemacht, welch flache Hierarchien in Skandinavien vorherrschen und wie wenig Drop-Down geführt wird.
Für die nächsten Wochen hatte ich bereits tolle Verabredungen mit der niederländischen Sportakademie Papendal und dem Maison du handball in Paris getroffen, doch dann schlug Anfang November der 2. Corona Lockdown zu und die Weiterreise war nicht mehr möglich. Ich habe mich dann dazu entschieden, in Dänemark zu bleiben und mit Herning/Ikast eine weitere dänische Handballhochburg zu besuchen. Dort wurde ich so herzlich von Mark Iversen und Leif Johnson begrüßt, dass ich mich auf die kommenden Wochen so richtig freute. Denn ab diesem Zeitpunkt gehörte ich zum Inventar der ISI - Idrætsskolerne Ikast und habe dort Deutschunterricht gegeben, Trainingseinheiten geleitet und mit Nachwuchstrainer:innen Fortbildungen gehalten.
Natürlich war ich sehr traurig darüber, meine Reise nicht fortsetzen zu können, trotzdem wollte ich die Handballwelt erkunden und habe die Chance genutzt, mich als Journalist bei der Frauen EM 2020 in Dänemark zu bewerben. Wenige Tage vor dem ersten Spiel habe ich dann die Akkreditierung bekommen. Ab diesem Zeitpunkt war ich Gast bei mehr als 25 EM-Spielen und den anschließenden Pressekonferenzen und habe die Trainer nach ihren Spielideen und Entscheidungen gefragt. Dabei konnte ich natürlich auch mit Henk Groener vom DHB sprechen und ein Wiedersehen mit Jesper erleben. Es gab Momente, welche sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Zum einen das überraschende Aus auf dem Weg ins Halbfinale der deutschen Nationalmannschaft und die verständliche Erschütterung und Leere in den Gesichtern der Spielerinnen. Und zum anderen die enorme Empathie und Professionalität, die Jesper nach dem enttäuschenden Spiel um Platz 3 in der Pressekonferenz an den Tag legte. Ich habe ihn gefragt, was er seinen Spielerinnen nach Abpfiff in der Kabine mitgeteilt hat und er entgegnete mir freundlich, dass ihm wichtig war, dass sie das gesamte Turnier im Kopf behalten und nicht die letzten 60 Minuten, dass es schwer werden würde, diese Niederlage zu verkraften, aber daraus viel Energie und Erkenntnisse für die Zukunft gewonnen werden solle.
Am Ende konnte Norwegen eine dominante Leistung abrufen und wurde verdient EM Sieger. Ich konnte dementsprechend in 2 Nationen hautnah miterleben wie Weltstars ausgebildet werden und viele Fragen an z.B. Norwegens Tempospiel und Dänemarks Passtechnik für mich klären.
Seit Weihnachten bin ich dann wieder in Berlin und habe die Eindrücke erstmal sacken lassen. Ich wollte aber trotzdem nicht tatenlos rumsitzen und warten bis die Reise wieder weitergehen kann und habe mich dazu entschlossen aus der Heimat heraus zu inspirieren. So haben wir z.B. zur WM die #ProfiLupe gestartet und damit Lehrmaterialien für die Trainer:innen im Lockdown entwickelt. Dabei konnten die Spieler:innen anhand von Szenen der DHB Auswahl in Ägypten wichtige Technik und Taktik Aspekte erlernen und bei der Beobachtung der WM-Spiele wieder erkennen. Dazu habe ich ein Online-Fortbildungskonzept entwickelt, welches vom DHB Lehrwart geprüft und abgenommen wurde und die ersten Fortbildungen in Schleswig-Holstein, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gehalten. Alle als komplette Unterstützung und Spende für unsere Partner Organisation Play-Handball in Südafrika und Kenia.
Mit unseren Freunden von der App Blindeside haben wir dieses Engagement ausgeweitet und das Konzept eines #TeammateAbend entwickelt. Mit vielen Spielen und Aufgaben, konnten wir so einige Teams im Lockdown erreichen und zusammenbringen und weitere Spenden für Play-Handball generieren.
Das größte Projekt startete dann Anfang März mit she. - support handball equity. Gemeinsam mit Maria Schmidt von ONE TEAM haben wir ein Handball-Trainerinnen Forum ins Leben gerufen und mit der Auftaktveranstaltung gleich 28 Trainer- und Spielerinnen erreichen können, welche Interesse am Austausch und persönlicher und fachlicher Weiterentwicklung haben. Denn neben dem Forum bringen wir nun in einem Mentorinnen-Programm erfahrene Trainerinnen mit Mentis zusammen, um mehr Trainerinnen im Handballsport zu fördern. Auch die ersten Verbände haben Interesse bekundet she. mit ihrem Know-How und Netzwerk zu unterstützen und wir sind gespannt wie nachhaltig wir das she. Forum entwickeln können.
Ich hoffe du hast über diesen umfangreichen Blogartikel ein kleine Übersicht über die letzten 7 Monate der Handball-Weltreise bekommen. Auch wenn ich jetzt nicht weiterreisen kann bzw. konnte und die Umstände mehr als Ungewiss sind, freue ich mich darüber mit deiner Unterstützung so viel erleben und ermöglichen zu können. Denn bereits viele Trainer:innen haben durch Handball.inspires Inspirationen und Ideen für ihre hohe Verantwortung gewonnen. Ebenfalls konnte ich die ersten Postkarten und Trikots als Dankeschöns versenden und damit ein weiteres kleines Stück Handball-Weltreise mit euch teilen.
Gemeinsam haben wir allein auf YouTube mehr als 220.000 Aufrufen und mehr als 100 Lehrvideos inspiriert und mit dem #HandballSnack, dem #TaktikExpress oder der #ProfiLupe neue Formate für die Weitergabe von Wissen entwickelt.
Ich freue mich immer über deine Fragen zum aktuellen Stand von handball.inspires und hoffe, dass du mit deiner Familie auch diese hoffentlich letzte schwere Zeit Corona gut überstehst.
Handball kennt keine Grenzen
Martin