Pro Wohnen Ottensen Pressemitteilung 01.02.2016
Frau Dr. Melzer – Ihre Baugenehmigung für Bürokomplex Zeise-2 war rechtswidrig! Wie erklären Sie diesen Fehler?
Die Bürgerinitiative „Pro Wohnen Ottensen“ hatte am 28. September 2015 beim Verwaltungsgericht Hamburg einen Eilantrag auf Baustopp gegen das Bürogebäude auf dem Zeise-2-Gelände eingereicht. Damit sollten die Investoren gehindert werden, fortgesetzt Fakten zu schaffen. Das Bezirksamt Altona hatte die Baugenehmigung im Mai 2015 während der Sperrfrist des Bürgerbegehrens „Platz zum Wohnen!“ erteilt. Inzwischen ist sicher: Die Baugenehmigung war rechtswidrig. Die Baupläne des Investors überschreiten die Grenzen des Bebauungsplans.
Bezirksamtsleiterin Dr. Liane Melzer hatte ihr Vorgehen damit gerechtfertigt, sie hätte den Bauantrag erteilen müssen, weil er „konform mit dem geltenden Bebauungsplan“ gehe (Mopo vom 15.5.15). Diese Behauptung war falsch. In der Klagebegründung von „Pro Wohnen Ottensen“ wurde nachgewiesen, dass die rechtlich maximal erlaubte Geschossfläche in den von den Investoren Procom/Quantum vorgelegten Bauplänen überschritten wurde. Am 20.10.2015 hat das Bezirksamt Altona in seiner Erwiderung an das Gericht eingeräumt, dass dies richtig ist – die Genehmigung der eingereichten Baupläne hätte nicht erteilt werden dürfen. Trotz der rechtswidrig erteilten Baugenehmigung zieht das Bezirksamt die Genehmigung nicht zurück. Einzige Konsequenz: Die Bauherren wurden „zur Einreichung geänderter Bauvorlagen aufgefordert“.
Frau Dr. Melzer trägt ohne Zweifel die politische Verantwortung für den offenkundigen Fehler ihres Fachamtes. Im Interview mit der Hamburger Morgenpost vom 15.5.2015 hatte sie behauptet, der Bauantrag sei „sehr, sehr gründlich geprüft worden“. Dazu Matthias Müller-Hennig von „Pro Wohnen Ottensen“: „Bei Zeise-2 ging es um einen Fall von hohem öffentlichen Interesse. Wenn das Bezirksamt tatsächlich gründlich geprüft hat, dann ist an seiner Kompetenz zu zweifeln. Sollte nicht gründlich geprüft worden sein, dann muss es andere Gründe für den Fehler geben. Auch die Weigerung des Amtes, unseren Anwälten Akteneinsicht zu geben, erscheint in neuem Licht. Wir fordern das Bezirksamt auf, den Altonaern zu erklären, wie es zu diesem Fehler kommen konnte.“
Bezirksamt Altona setzt Bürgerentscheid zu Zeise-2 nur dem Schein nach um / Bürgerinitiative erklärt ihren Eilantrag für ‚erledigt‘
Das Verwaltungsgericht Hamburg ist dem Eilantrag von „Pro Wohnen Ottensen“ auf Baustopp nicht mit einer schnellen Entscheidung gefolgt. Dass es die Eilbedürftigkeit anders gesehen hat als die Initiative, liegt in seinem Ermessen. Bis heute gibt es kein Urteil.
Nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid vom 30. September 2015, bei dem eine Mehrheit von 75 Prozent in Altona für Wohnbebauung auf dem Zeise-2-Gelände gestimmt hatte, war das Bezirksamt verpflichtet, die Änderung des Bebauungsplans für die Ausweisung des Geländes als Wohngebiet auf den Weg zu bringen. Es hat diesen Auftrag der Wähler nicht ernsthaft ausgeführt. In großer Eile wurde bereits am 16.10. eine ‚Grobabstimmung‘ (s. Kasten) mit den Hamburger Fachbehörden einberufen. Drei Behörden widersprachen der Planänderung. Dass die Baugenehmigung rechtswidrig erteilt wurde, spielte im Abstimmungsgespräch keine Rolle. Argumente pro Wohnbebauung und auch das Ergebnis des Bürgerentscheids gingen in die Abwägung der Interessen nicht ein.
Vom Gesetz her wäre das Bezirksamt nach dem Gespräch vom 16.10.2015 zur „Ausräumung verbliebener Konflikte“ verpflichtet gewesen. So schreibt es die Fachanweisung für die Hamburger Verwaltung vor. Nichts dergleichen hat das Bezirksamt unternommen. Erst auf den Widerspruch der Initiatve, dass die Grobabstimmung keineswegs abgeschlossen sei, hat am 30.11.2015 die Hamburger Senatskommission unter Vorsitz des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz die Politik des Bezirksamtes gebilligt und die Änderung des Bebauungsplans für das Gelände Zeise-2 abgelehnt.
Jan Mittelstein, Anwalt von Pro Wohnen Ottensen von der Kanzlei Mohr Rechtsanwälte, zum Stand des gerichtlichen Verfahrens: „Mit dem formalen Abschluss der Grobabstimmung ist das Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans beendet. Der Eilantrag wegen der Verletzung der Rechte des Bürgerbegehrens hat sich damit erledigt. Eine entsprechende Erklärung wird an das Gericht gehen. Zugleich beantragen wir, die Kosten des Verfahrens den Antragsgegnern aufzuerlegen, weil der Antrag berechtigt und begründet war.“
Zum Ausgang der Klage sagt Regine Christiansen von „Pro Wohnen Ottensen“: „Die finanziellen Mittel unserer Bürgerinitiative reichen nicht aus, um die Rechtsverletzungen des Bezirksamtes weiter vor Gericht zu verfolgen. Unser Versuch, mit einer Klage einen Baustopp zu erreichen, blieb leider ohne Erfolg. Der Protest gegen dieses Bauvorhaben bleibt berechtigt. Wir werden die Ansiedlung von WPP/ Scholz & Friends mitten im Wohngebiet Ottensen weiterhin kritisch begleiten.“
Sperrfrist
Während der Sperrfrist eines Bürgerbegehrens darf die Hamburger Verwaltung keine einschlägigen Entscheidungen treffen. Die Sperrfrist für „Platz zum Wohnen!“ setzte am 28.11.2014 ein, ein Bauantrag für das Gebäude lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Als ob das Vorbereiten einer Entscheidung mit dieser nichts zu tun hätte, beriet das Bezirksamt Altona die Bauherren intensiv und erteilte die Baugenehmigung am 8. Mai 2015. Die Sperrfrist endete am 2. Oktober 2015.
Verfassungsrecht
Einen vergleichbaren Fall hat es vor einem Hamburger Gericht bislang nicht gegeben. Im Kern der Klage ging es um die verfassungsrechtliche Frage, ob das Recht der Bauherren, ihr Eigentum gemäß Art. 14 Grundgesetz zu nutzen, oder das Recht der von der Initiative vertretenen Bürger auf Ausübung der Staatsgewalt durch Bürgerentscheid gemäß Art. 20 Grundgesetz höher wiegt.
Grobabstimmung
Nach der für die Hamburger Verwaltung verbindlichen „Fachanweisung Bauleitplanung“ sind für eine Änderung des Bebauungsplans die Interessen der Fachbehörden des Bezirks und der Stadt in einer so geiner so genannten ‚Grobabstimmung‘ in Einklang zu bringen. Wörtlich: „In der Grobabstimmung ist Einvernehmen zwischen dem Bezirk und den Fachbehörden über die wesentlichen Ziele des Bebauungsplans und das Herbeiführen des Aufstellungsbeschlusses zu erzielen. (...) Kann im Verfahren kein Einvernehmen zwischen dem Bezirk und den Fachbehörden erzielt werden, klärt das Bezirksamt unter Beteiligung der Behörde für Stadtentwicklung und den betroffenen Fachbehörden das weitere Vorgehen zur Ausräumung verbliebener Konflikte. (...) Falls eine Klärung durch andere Instanzen nicht herbei geführt wird, veranlassen die Behörde für Stadtentwicklung oder die betroffene Fachbehörde die Herbeiführung einer Entscheidung der Senatskommission für Stadtentwicklung und Wohnungsbau."
Im Bauausschuss Altona wurde am 8.12.2015 ein Ergänzungsantrag zur Baugenehmigung für das Zeise-2-Gebäude beraten. Die Investoren beantragten Befreiungen für 104 Quadratmeter zusätzliche Geschossfläche. Der Bauausschuss beschloss auf Empfehlung der Bezirksamtsleitung, den Antrag abzulehnen. Die Bauherren sind weiterhin gehalten, ihre Baupläne so zu verkleinern, dass die Grenzen des Bebauungsplans eingehalten werden.