Schlampig und charmant
Während meiner Ausbildung auf der Kunstakademie erkannte ich, dass ich nur bedingt für präzise Angelegenheiten geeignet bin. Eigentlich war das schon vorher klar, als ich als Jugendlicher einmal versuchte, den Aachener Dom aus vorgedruckten Papierbögen nachzubauen. Schon das Ausschneiden war eine Herausforderung, das Zusammenkleben der gotischen Spitzbögen, Strebefeiler und kleinen Fialen dann zeitigte eine ganz andere, neue Art von Architektur, die wenig mit dem historischen Vorbild zu tun hatte.
Eine Technik, die ich im Laufe des Designstudiums perfektionierte: einen Plan machen, loslegen und letztendlich etwas ganz anderes produzieren als geplant. „Schlampig“, sagte einst mein Dozent für 3-dimensionales Gestalten während eines Beurteilungsgesprächs an jener Akademie zu mir, „aber es hat einen gewissen Charme.“ Schlampig, aber charmant war fortan mein unausgesprochenes Motto. Mein Hauptfach war allerdings Mode- und Textildesign und nicht unbedingt bekannt für sein entspanntes Verhältnis zur Präzision. Aber wenn mir das Einsetzen von Reißverschlüssen eben zu fummelig war, klebte ich sie eben ein. Wenn man aus der Not nicht unbedingt eine Tugend, aber ein Konzept macht, kommt man mit so Einigem davon.
Heute aber geht es mir ums Backen, dass man, was Genauigkeit angeht, durchaus als das Schneiderhandwerk unter den Küchengewerken bezeichnen kann. Da wo Saucier und Gardemangère mit energischen Pinselstrichen eine Landschaft skizzieren oder mit forscher Hand einen Gesichtsausdruck ins Tonprofil kneten, sind Konditor und Patissière eher dabei, wieder einmal einen besonders komplizierten Hosenschlitz zu konstruieren.
Darum lag mir bislang das Kochen deutlich näher als das Backen, oben auf dem Herd kann man (zumindest als Hobbykoch) deutlich schlampig-charmanter arbeiten als untenrum im Ofen der Liebe.
Mit Corona geriet aber auch dieses oben und unten durcheinander und in einem gewissen Moment des ennui fragte ich mich, ob mir die strenge Hand des Backens einen Weg durch die Pandemie zeigen könnte. Also nicht für immer, aber eventuell mal für zwei Wochen …
Zu den Ergebnissen gehört die bereits im Video erwähnte Erkenntnis, dass bestimmte französische Gebäcksorten ausschließlich erfunden worden sein müssen, um Auszubildende Demut zu lehren. Und trotz aller Demut und trotz aller fatigue nach Abschluss des Projekts habe ich, neben den großartigen Rezepten unserer Korrespondent*innen aus Frankreich, eine wichtige Erkenntnis mit nach Hause genommen: Auch untenrum hat schlampig-charmant seine Qualitäten, dann nämlich, wenn das mögliche Scheitern zum Textkonzept gehört. Vor allem aber dann, wenn Fotografin und Kommunikationsdesignerin mühelos die kompliziertesten Reißverschlüsse einsetzen können.