Zurück in unserem eigenen Film
Als wir im Januar 2013 mit der Kamera nach Argentinien aufbrechen, gibt es eine Idee in unseren Köpfen und paar Adressen in unserem Notizblock. Als wir im Oktober 2014 nach Buenos Aires zurückkehren, gibt es klare Konturen unseres Dokumentarfilms, einen Trailer, eine große Crowdfunding-Community. Unzählige Male sind wir in den Monaten vor unserer zweiten Drehphase in unser Filmmaterial eingetaucht und damit nach Argentinien, in das Leben von Hilario und Catalina. Ihre Geschichten sind Teil unseres eigenen Lebens geworden, denn immer wieder haben wir davon erzählt - in Radio-Interviews, bei Vorträgen, abends auf Partys. Und so fühlen sich die ersten Tage unserer zweiten Drehphase vertraut an und zugleich verrückt: Es kommt uns vor, als bewegten wir uns in unserem eigenen Film - und bewegen ihn weiter!
Hilario: "Ich bin egoistischer geworden"
Was für uns Filmemacherinnen gilt, gilt für unsere beiden Protagonisten erst recht: Ein Berg von Erlebnissen liegt zwischen dem letzten und dem neuen Dreh. Von Hilario haben wir uns 2013 zu einer Zeit verabschiedet, in der er am Tiefpunkt angelangt scheint - mitten im Gerichtsprozess gegen seine Zieheltern. Im den damaligen Interviews spricht er mit brüchiger Stimme, schwankt zwischen Angst, Wut und Niedergeschlagenheit. Wir treffen ihn an einem sonnigen Oktobertag 2014 wieder, in der Küstenstadt Mar del Plata, dort arbeitet er nach wie vor als Sozialarbeiter. Schon von Weitem erkennen wir, dass uns da ein anderer Hilario entgegenkommt: Leichten Schrittes, er winkt, ist von der Frühlingssonne gebräunt. Er raucht immer noch viel, während er erzählt - aber es wirkt nicht mehr, als halte er sich an der Zigarette fest.
Gegen das Urteil von sechs Jahren Gefängnis sind seine Zieheltern in Berufung gegangen, seither liegt das Verfahren auf Eis. Er habe Abstand zur aufwühlenden Phase des Gerichtsprozesses gewonnen, sagt Hilario, außerdem habe er die Beziehung zu seinen beiden Familien neu definiert. Und er konzentriere er sich mehr als je zuvor auf sich selbst: "Ich bin egoistischer geworden", sind seine Worte. Wie sich das zeigt? Haben wir natürlich mit der Kamera eingefangen - erstaunt darüber, wie selbstverständlich Hilario uns mitgenommen hat zu den unterschiedlichsten Schauplätzen seines neuen und alten Lebens. Beinahe so, als wären wir nie weg gewesen.
In vertauschten Rollen
Ein Dokumentarfilm lebt von der Ebene zwischen Filmfiguren und Filmemachern - je mehr sich beide Seiten kennen und vertrauen, desto näher kommen später auch die Zuschauer den Protagonisten. Eine solche Ebene entsteht meist mit viel Zeit, mit Besuchen und langen Gesprächen - auch ohne laufende Kamera. Als Dokumentarfilmerinnen, die ihre Protagonisten zudem über einen längeren Zeitraum hinweg begleiten, haben wir nicht die besten Bedingungen: Regelmäßigen Treffen stehen Tausende Kilometer zwischen Deutschland und Argentinien im Wege.
Umso bemerkenswerter ist für uns die vertraute Ebene des Filmteams mit Hilario. Angefangen bei Kamerafrau Aline, für die er einen gewöhnungsbedürftigen Spitznamen und eine eigene Sprache gefunden hat, jenseits von Spanisch oder Englisch. Bis hin zu uns, den Regisseurinnen, mit denen er zwischenzeitlich auch mal die Rollen tauscht: Im letzten Interview - am Flughafen von Buenos Aires, siehe Foto - nimmt er sich plötzlich sein Funkmikrofon ab und verkündet: "Jetzt stelle ich die Fragen!" Ob diese Szene im Film oder im Making Of vorkommen wird, ist noch nicht entschieden. Aber wir werden sie euch auf jeden Fall nicht vorenthalten!