Die Autoren stellen sich vor! Heute: Dr. Verena Traeger
Dr. Verena Traeger ist Ethnologin und Kunsthistorikerin. Sie promovierte 1995 an der Universität Wien mit einer ethnografischen Analyse von über 200 Inuit Porträts von europäischen Künstlern zwischen 1500 und 1800. Im Jahr 1989 hatte sie ein Auslandsjahr in den USA (Virginia und North Carolina). Seit 1991 unternahm sie regelmäßige (bislang 16) Studienaufenthalte in Grönland. Von 1991 bis 1992 war sie mit der Aufarbeitung und Präsentation der Inuit Sammlungen des Weltmuseums Wien betraut, in den Jahren 1992 bis 2000 in der Kunstvermittlung in Wiener Museen und Ausstellungshallen tätig. 1994 organisierte sie die Ausstellungsreihe »Eskimo – (Über)Leben in der Arktis«. Im Weltmuseum Wien zeigte sie 1994 ein »Katajjaq« Konzert (Kehlkopfgesang) mit Annie Kasudluak Alakau und Sarah Sivuaraapik aus dem nördlichen Quebec sowie 1996 »Uaajeerneq – Ostgrönländischer Maskentanz« und das zeitgenössische, grönländische Frauentheater »Navaranaaq in a dreamtime« im Brut Wien mit Elisabeth Heilmann und Jessie Kleemann. Seit 1996 ist sie Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien (Vorlesungen zu Inuit und nordamerikanischen Indianern). Im Sommer 1997 war sie Vortragende für Greenland Tourism an Bord des Eisbrechers Vavilov in Südwest- und Südostgrönland. Seit 1998 ist sie im Wissenschaftlichen Ausschuss des Zentrums für Kanadastudien der Universität Wien. 1999 bis 2000 arbeitete sie am Dokumentarfilm »Elsewhere« von Nikolaus Geyrhalter in Nordgrönland (Thulegebiet) und bei den Nisga’a in Britisch Kolumbien mit. Von 2001 bis 2003 konnte sie das International Traninig Center for Indigenous Peoples mit Sitz in Nuuk mit aufbauen. Sie arbeitete von 2002 bis 2007 als Ausstellungskuratorin im Belvedere in Wien, von 2007 bis 2008 als freie Lektorin für das Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst in Wien. Seit 2007 ist sie Kuratorin in einer Privatsammlung, seit 2009 Sprecherin der Regionalgruppe Zirkumpolargebiete und Sibirien der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde und seit 2013 ehrenamtliche Kuratorin des Kulturhauses Stelzhamermuseum Pramet. Zu Ihren Veröffentlichungen zählen »Eskimo. Am Nordrand der Welt. Schwerpunkt Grönland«, ein Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, die sie 1991 mit C. F. Feest veröffentlichte. 2000 erschien ihr Beitrag »Austrians and Canadian Inuit - Examples of Intercultural Action« in »Canada/ Europe Opportunities and Problems of Interculturality« von Waldemar Zacharasiewicz und Fritz Peter Kirsch. 2005 schrieb sie 10 Beiträge für Mark Nuttalls dreibändige »The Encyclopedia of the Arctic« sowie den Beitrag »Der Rechtsstreit Inughuit versus Dänemark« in dem Sammelband »Bruchlinien im Eis. Ethnologie des zirkumpolaren Nordens« von Stefan Bauer, Stefan Donecker, Aline Ehrenfried und Markus Hirnsperger.
Fragen an die Autorin:
Woher kommt dein Interesse für Grönland?
Als Kind habe ich zwar im Winter in den österreichischen Bergen Iglus gebaut, bin im Anorak Ski gefahren und im Sommer im Faltkajak gepaddelt, aber mein professionelles Interesse an Inuit und ihre spezielle Lebensweise entwickelte sich erst im Laufe meines Ethnologiestudiums an der Wiener Universität. Meine Spezialisierung auf grönländische Inuit erfolgte nicht nur durch ihre geografische und (kolonial)politische Nähe zu Europa, sondern vor allem durch ihre reichhaltige materielle Kultur. An Inuit hat mich besonders fasziniert, dass sie in ihrer Anpassungsfähigkeit an die arktische Umwelt geniale Erfindungen wie eben Iglu (gemeint Schneehaus), Kajak, Anorak – alle drei Begriffe sind übrigens Lehnwörter aus den Inuitsprachen im deutschen wie im internationalen Sprachgebrauch!! –, aber auch linksdrehende Schrauben und vieles mehr entwickelt haben. Da ich selbst in einem Land mit bäuerlicher Kultur und hierarchisch tradierter Gesellschaftsstruktur aufgewachsen bin, interessierte mich vor allem die ausschließlich auf Seesäugerjagd basierende Subsistenzform, die gänzlich ohne Holz, Viehzucht und Landbau auskommt, die fast 100% prozentige Fleischnahrung sowie die egalitäre Gesellschaftsform der Inuit, bei der jeder Mann und jede Frau nur durch ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen und nicht durch Geburt oder Vererbung Prestige erlangen konnte. Bei den Inuit gab es keine hierarchischen politischen Strukturen, nur die Erfahrung zählte und gleichzeitig konnte einer alleine in der Arktis nicht überleben. Mann und Frau bildeten in der Arktis die kleinste überlebensfähige Einheit, indem sie durch geschlechtliche Arbeitsteilung voneinander abhängig waren und miteinander kooperieren mussten.
Welche Forschungsergebnisse stellst Du in dem Grönlandbuch vor?
Durch meine vielen Grönlandaufenthalte zu allen Jahreszeiten und an unzähligen Orten nördlich und südlich des Polarkreises von der südlichsten Siedlung Aapilatoq im Prinz Christian Sund bis zur aller nördlichsten Siedlung der Welt Siorapaluk in Nordgrönland im Thule-Gebiet sowie durch meine zehnjährige Beziehung mit meinem grönländischen Partner Ingmar Egede habe ich einen großen Freundes-, Bekannten- und Familienkreis in Grönland aufgebaut. Ich war in den unterschiedlichsten Haushalten zum Essen eingeladen, habe an Festen und Kaffemiks, den grönländischen Geburtstagseinladungen mit Kaffee und Kuchen, teilgenommen, in unterschiedlichen grönländischen Restaurants gespeist und auf offiziellen Empfängen grönländische Buffets kennengelernt. Zudem habe ich selbst vor allem in Ingmars Haus in Nuuk viele Freunde, Bekannte und Familienmitglieder bewirtet. Bei der Zubereitung grönländischer Rohprodukte, deren Frische ich zu schätzen gelernt habe, wurde ich auch teils durch grönländische Kochbücher, die sich in der Literaturliste zu meinem Beitrag finden, inspiriert. Ich habe in grönländischen Supermärkten, kleinen Krämerläden, aber auch am Freiluftmarkt Kalaalliaraq, an dem die Jäger Fleisch und Fisch verkaufen, und direkt von Jägern Nahrungsmittel eingekauft und habe in Grönland Beeren und Pilze gesammelt, die ich dann vor Ort verarbeitet habe. Als ich 1991 das erste Mal nach Grönland reiste, war ich aufgrund unserer Massentierhaltung am besten Wege zur Vegetarierin. In Grönland habe ich jedoch die Fleischnahrung allen voran das gesunde nahrhafte Seesäugerfleisch von Robben und Walen zu schätzen gelernt und auch den gefährlichen Einsatz, den Jäger bereit sind zu leisten, um ihre Familien und Schlittenhunde durch ihre Jagd zu ernähren. Ich habe gelernt, dass in Grönland die Jagd kein Luxus wie in unseren Breitengraden ist, sondern ein alltäglicher Erwerb, um zu überleben. Ich möchte mit meinem Beitrag meine Beobachtungen und Erfahrungen einer breiteren Leserschaft nahe bringen, die selbst niemals Seesäugerfleisch gegessen hat und sie dafür sensibilisieren, wie wichtig die grönländischen Nahrungsmittel bis heute für die grönländische Volksgesundheit und kulturelle Identität sind.
Warum würdest Du jemandem den Sammelband empfehlen?
Es fehlt seit Jahrzehnten an fundierter deutschsprachiger Fachliteratur zu grönländischen Themen. Der Sammelband, der hoffentlich auch ein breiteres Publikum erreichen wird, schließt hier eine große Lücke. Durch die thematische Bandbreite der Buchbeiträge und die unterschiedlichen Autorinnen und Autoren gibt er einen guten Einblick in das heutige Grönland mit seinen Traditionsbrüchen und kulturellen Veränderungen, aber auch seinen Kontinuitäten. Ich empfinde es als sehr wichtig, dass auch in südlicheren Gefilden ein Verständnis für das Leben im hohen Norden und eine allgemeine Wertschätzung für die besonderen arktischen Lebensumstände und Bedürfnisse entsteht.