Die Autoren stellen sich vor! Heute: Ebbe Volquardsen
Ebbe Volquardsen studierte Skandinavistik, Politikwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Kopenhagen. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neuere Skandinavische Literaturen am Institut für Fennistik und Skandinavistik der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Bis September 2015 war er Promotionsstipendiat des International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Lehrbeauftragter für skandinavische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität zu Köln. In seiner Dissertation untersucht er die Rolle, die literarische und populärwissenschaftliche Texte bei der Etablierung und Festigung von Vorstellungen von der dänischen Kolonialvergangenheit in Grönland und dem ehemaligen Dänisch Westindien spielen, die diese als ungewöhnlich human markieren. In einer früheren Arbeit analysierte er die grönländische Romanliteratur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Positionen, die diese Texte im Diskurs um Identitätsfindung und Nationsbildung einnehmen. Er ist Gründungsmitglied des vom dänischen Carlsbergfond geförderten an der Universität Kopenhagen ansässigen internationalen Forschungsprojekts Denmark and the New North Atlantic und war von 2013 bis 2014 Chefredakteur der Zeitschrift NORDEUROPAforum. Zu seinen Publikationen zählen der Sammelband »The Postcolonial North Atlantic: Iceland, Greenland and the Faroe Islands« (Hgg. mit Lill-Ann Körber; Berlin 2014) sowie die Monografie »Die Anfänge des grönländischen Romans. Identität, Nation und subalterne Artikulation in einer arktischen Kolonie« (Marburg 2011)
Fragen an den Autor:
Woher kommt dein Interesse für Grönland?
Nur wenige Kilometer südlich der dänischen Grenze, wo ich aufgewachsen bin, ist Grönland in der Wahrnehmung der Menschen ein abgeschiedener und sehr weit entfernter Ort, von dem kaum jemand auch nur eine Vorstellung hat. Bereits in der dänischen Nachbarstadt sieht das ganz anders aus. Nachrichten aus Grönland finden sich nahezu täglich in den Zeitungen und fast jeder hat zumindest einen Bekannten, der eine Zeit lang in Grönland gearbeitet hat, sei es als Handwerker, Lehrer oder Mitarbeiter in der Verwaltung. Auch wenn häufig Gegenteiliges behauptet wird, sind die Verbindungen Dänemarks zu seiner ehemaligen Kolonie bis heute äußerst präsent. Seit meinem Auslandsaufenthalt an der Universität Kopenhagen im Rahmen meines Skandinavistikstudiums, wo ich auch einige Lehrveranstaltungen am Institut für Eskimologie besuchen konnte, faszinieren mich die komplexen Beziehungen zwischen Dänemark und Grönland. Als ich als Mitarbeiter am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität Gelegenheit erhielt, gemeinsam mit einer Kollegin eine zehntägige Studienexkursion zu organisieren, wurden wir uns schnell einig, dass die Reise nach Grönland gehen würde. Nach unserer Rückkehr aus Nuuk und Ilulissat hatte ich nicht nur zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen und Kontakte geknüpft, sondern auch ein Thema für Forschung und Lehre gefunden, das mich bis heute beschäftigt.
Welche Forschungsergebnisse stellst Du in dem Grönlandbuch vor?
Das Bild, das wir von fremden Ländern, Städten und Regionen haben, wird in erheblichem Maß geprägt durch Filme, die wir gesehen und Bücher, die wir gelesen haben, auch wenn wir eigentlich wissen, dass es sich dabei um Fiktionen handelt. Den zahlreichen literarischen Neuerscheinungen auf dem dänischen Buchmarkt, die Grönland zum Schauplatz haben, kommt daher eine wichtige Rolle bei der in diesen Jahren stattfindenden Neuverhandlung der dänisch-grönländischen Beziehungen zu. Zudem finden die Autorinnen und Autoren dieser Texte, die häufig autobiografische Elemente enthalten, zunehmend Gehör in der politischen und gesellschaftlichen Debatte. In meinem Beitrag für das Grönlandbuch untersuche ich Romane der dänischen Gegenwartsliteratur, die Prozesse der Migration ins postkoloniale Grönland beschreiben. Indem ich sie in ein Verhältnis zu älteren Texten der dänischen Grönlandliteratur sowie zu grönländischen Texten setze, die die umgekehrte Migrationssituation behandeln, lese ich die Romane und die große Nachfrage, die das Sujet derzeit bei dänischen Leserinnen und Lesern genießt, als Beispiele für das Bemühen und den Willen, im kolonialen Diskurs generierte Grönlandbilder zu korrigieren und neue Narrative zu erzeugen, die der veränderten Situation der rigsfællesskab (Reichsgemeinschaft) Rechnung tragen. Dabei kommt dem sich sukzessive von der einstigen Kolonialmacht emanzipierenden Grönland zunehmend die Rolle einer gleichberechtigten Partnerin zu.
Warum würdest Du jemandem den Sammelband empfehlen?
Wer sich über Politik, Kultur und Gesellschaft im postkolonialen Grönland informieren möchte und über keine dänischen Sprachkenntnisse verfügt, stößt bislang sehr schnell an seine Grenzen. Nur wenige Beiträge aus der oft ausgezeichneten Grönlandforschung der sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen sind in englischer Sprache publiziert, noch weniger Veröffentlichungen liegen auf Deutsch vor. Mit dem geplanten Sammelband betritt Herausgeber Frank Sowa insofern Neuland, als dass er zahlreiche Forschungsperspektiven, die sich dem gegenwärtigen Grönland widmen, erstmals einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich macht. Dabei kommen neben deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen auch Forscherinnen und Forscher aus Grönland und Dänemark zu Wort. Davon, dass das Interesse für und die Neugier auf Grönland auch im deutschsprachigen Raum zunehmen, zeugen nicht zuletzt die zahlreichen Dokumentationen und Reiseberichte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das in diesen Reportagen häufig vorherrschende Bild von einer atemberaubenden Naturlandschaft, in der Menschen allenfalls als traditionelle Jäger, noch öfter jedoch als externe Bedrohung für eine vermeintlich unberührte Ökosphäre auftreten, ergänzt der Band, indem er die Menschen und ihre heterogenen Lebensentwürfe in einer global orientierten arktischen Gesellschaft ins Zentrum rückt.
So ist der Autor zu erreichen:
http://www.phil.uni-greifswald.de/philologien/ifp/nordphil/personal/volquardsen-ebbe.html