Ich bin 40 und mache Brettspielpostkarten. Warum eigentlich?
Ich bin dieses Jahr 40 geworden. Yeah!
Aber jetzt mal im Ernst. Brettspielpostkarten? Die Mehrzahl meiner Freunde tut respektable Dinge. Sie programmieren Steuerungen für Produktionsroboter, restaurieren Bauernhöfe, arbeiten ehrenamtlich in Vereinen und erforschen, wie viele Reste von Kaffeebechern sich in den Lebern von Seehunden anreichern. Was man als Erwachsener eben so macht.
Ich mache Brettspielpostkarten.
Nicht nur. Aber wenn ich mir die Arbeit der letzten zwei Monate anschaue – so ein Projekt ist doch eine echte Lebensentscheidung. Mein Sohn, die arme Socke, weiß, wovon ich rede. Allein sechs Tage Vollzeit nur am Telefon, um aus dem Fast-Nichts den Beginn eines Vertriebsnetzes zu stampfen.
Das muss man wollen. Für eine Postkarte.
Aufregende Empfehlungen
Gestern war ich beim Unternehmerstammtisch von Frank Basten. Anständig online versteht sich. Frank, der die Veranstaltung seit Jahren organisiert, hatte von mir kurz vorher die Mail zum Crowdfunding für die Spielkarten bekommen. Witzig, erzählt er mir da: Am gleichen Tag hätte er nämlich die Mail schon von einer Unternehmerin aus seinem Netzwerk weitergeleitet bekommen.
Sehr cool, denk ich mir. Weil ich den Namen dieser Unternehmerin gar nicht kenne. Keine Ahnung, von wem sie die Info hatte. So muss es sein. Das Netzwerk pulsiert. Und ich schau mir gleich mal an, wer da mein Projekt weiterempfiehlt.
Diese Unternehmerin, zeigt sich, hat selbst vor einigen Jahren ein Crowdfunding durchgezogen. Ich weiß es, weil es immer noch ne Menge Presse darüber gibt. Sie haben eine sechstellige Summe eingeworben und damit ein innovatives Fahrradschloss entwickelt.
tex-lock.com – für Neugierige.
Da beiß ich mir erstmal auf die Lippen. Denn wir sind ungefähr ein Jahrgang. Und ich versuche unter Aufbietung aller Kräfte 4.000 Euro zu sammeln. Für eine Postkarte.
Vielleicht doch lieber Krankenpfleger
Warum mach ich sowas? Ich könnte diesen latent brotlosen Kreativkram endlich dahin packen, wo er hingehört: In den Hobbykeller. Ich könnte im Vertrieb oder Marketing Karriere machen und mit meinen Steuern den Sozialstaat mitfinanzieren. Oder Krankenpfleger werden und dort mit anpacken, wo wirklich große Not am Mann, an der Frau und an vielen Kindern ist. Und spürbar Gutes tun, statt mit unglaublich großer Mühe eine Spende einzuwerben, die ein erfolgreiches Leipziger Startup aus der Portokasse überweist.
Wer weiß - eventuell mach ich das sogar, falls dieses Projekt nicht durchkommen sollte. Wer weiß. Da steckt man ja nicht drin. Und das Postkarten-Business ist ein Haifischbecken. Mein voller Ernst.
Aber jetzt mache ich genau das und nichts anderes. Warum? Zwei Antworten.
Erstens: Weil ich will
Ich will tatsächlich genau das. Ich will diese Idee umsetzen und sehen, was dabei rauskommt. Es ist die gleiche Faszination, wegen der ich als Achtjähriger unbedingt Angeln gehen wollte. Man wagt sich vor ins Unbekannte. Ins Geheimnisvolle. Nicht gleich unter Wasser oder "into the wild". Aber das Gefühl, unkontrollierbaren Kräften ausgesetzt zu sein, ist echt. Ich tue was ich kann, aber am Ende kann ich nur warten und hoffen, dass alles passt. Und dann kommt vielleicht was Tolles bei raus.
Das ist unglaublich cool.
Cool ist auch das Format an sich. Ich bin absolut fasziniert von der Idee, in einem minimalen Papierformat auf großem Niveau Erzählen, Kunst, Spiel und Interaktion stattfinden zu lassen.
Da stört es mich wirklich überhaupt nicht, dass mein Produkt voraussichtlich keine drei Prozent des Umsatzpotentials von Tex-Lock mitbringt. Solange es lebt, funktioniert, gespielt und verschenkt wird.
Und zweitens: Weil ich damit meinen Ort erobere
Deswegen das Bild von der Hütte. Irgendwann hab ich in meiner Biografie das Bedürfnis mitbekommen, selbstständig zu sein. An meinem eigenen Ort, auf meinem eigenen Acker. Ich will ein Stück von der Welt, das ich der Wildnis abtrotze.
Diese Wildnis ist jetzt kein Dschungel, aber ein mindestens genauso wilder Markt mit seinen Kämpfen, seinen hart verteilten Revieren und seinen bissig verteidigten Ansprüchen. Ich will ein Stück davon, dass ich ihm mit eigenen Händen abgerungen habe. Der Ort, wo ich die Verantwortung habe und die Hoheit über alle wirklich wichtigen Entscheidungen.
Auch darum geht es in diesem Verlag. Einen Ort zu schaffen, wo es an mir liegt. Wo ich für meine Arbeit die Früchte ernte und verteile. Und wo ich für meine Fehler die Konsequenzen spüre, direkt und unmittelbar, wie der Wind, der mir auf 5.000 Meter über den verschneiten Grat an die Nase weht. Klingt ein bisschen romantisch? Na, das will ich doch hoffen!
Da ist es dann gar nicht so ein großer Unterschied, ob ich ein Startup mit sechstelligem Jahresumsatz aufziehe – oder eine Postkarte mache.
Es ist definitiv aufregend. Und sehr, sehr schön.
Ich freu mich, wenn du mit dabei bist!