Leseprobe zu Episode 2
Da wir vor einigen Tagen die 1000-Euro-Marke geknackt haben, gibt's eine kleine Leseprobe für euch:
Der Wagen steht schon seit gut fünf Minuten still, als Sean mir endlich etwas zu trinken gibt. Obwohl mir die Garage, in die Bob gefahren ist, nicht ganz geheuer ist, ignoriere ich dieses mulmige Gefühl in der Magengrube und gebe mir Mühe, nicht zu kleckern. Nachdem ich zwei Blutbeutel hinuntergestürzt habe, sieht die Welt wieder ein wenig besser aus. Zumindest wird das für die nächste Stunde der Fall sein. Der Hunger bleibt, doch hat das Blut ihn betäubt und das Grollen zum Verstummen gebracht. Der Anzug hat glücklicherweise nichts abbekommen, andernfalls hätte Sean mich sicher dafür gelyncht.
»Bob, du wartest am besten hier«, meint Sean in einem ruhigen Tonfall, doch seine Körperhaltung verrät mir, dass er vor
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Nervosität beinahe platzt. Er zieht seine Schultern leicht nach vorne, nachdem er Bob die Anweisung gegeben hat, und fängt an, seine Finger zu massieren. Einen nach dem anderen. Auch sein Geruch verändert sich, dringt nicht mehr ganz so süß in meine Nase wie sonst, sondern hat eine säuerliche Note angenommen. Ähnlich wie bei Jills Begleiterin Linda. Was hat das genau zu bedeuten?
Verunsichert folge ich ihm zur Tür, von der ich annehme, dass sie die Garage mit dem Anwesen dieses sogenannten Vampirlords verbindet. Sobald wir den Treppenaufgang hinter uns gelassen haben und durch eine weitere Tür treten, kommt es mir vor, als wäre ich direkt in einem anderen Jahrhundert gelandet. Der Duft von altem Holz und Parfum lenkt mich von Sean ab, während sich das schwache Licht der Kerzen geradezu wohltuend auf meine Augen auswirkt, im Gegensatz zu den Neonröhren in der Garage. Der Boden knarzt unter meinen Füßen, aber Sean lässt mir keine Zeit, mich davon beirren zu lassen, denn er packt mich am Ärmel und zieht mich mit sich zu einer Treppe, die zum oberen Stock führt und nicht weniger pompös wirkt wie der Rest der Einrichtung.
Zu überrumpelt, um mich dagegen zu sträuben, stolpere ich hinter ihm her über den roten Teppich, auf dem sicher schon Könige und Königinnen herumstolziert sind. Trotzdem müffelt er nicht so wie die in den alten Museen, in die mich meine Eltern als kleines Kind immer mitgeschleppt haben. Beim Gedanken daran entfährt mir ein schwerer Seufzer, doch es gelingt mir nicht, weiter an die Vergangenheit zu denken, da uns am oberen Ende der Treppe bereits jemand erwartet: eine Frau, elegant gekleidet in einen seltsam altertümlich wirkenden Hosenanzug – mir fehlt der Wortschatz für die exakten Bezeichnungen der einzelnen Kleidungsstücke. Ihre schwar53
zen Haare trägt sie zu einem streng nach hinten gebundenen Dutt, doch was mich beunruhigt, ist ihr starrer Blick, mit dem sie durch mich hindurchzuschauen scheint.
Sean bleibt knapp einen Meter von ihr entfernt auf der vorletzten Stufe stehen und ich neben ihm.
»Mr O’Connel.« Sie verneigt sich vor Sean und hebt dann ihre Hand, um uns den Weg zu unserer Linken zu weisen. »Der werte Prinz erwartet Sie und Ihren Begleiter bereits.«
Ohne ein weiteres Wort stöckelt sie voraus.
Während ich neben ihm gehe, beuge ich mich zu Sean hinunter, um ihm etwas zuzuflüstern. »Wie heißt sie?«
»Ich hab’ keine Ahnung. Seamus hat schon wieder eine neue Sekretärin angestellt. Was er mit der letzten armen Seele angestellt hat, will ich gar nicht wissen.« Sein Ton ist kühl, als hätte er längst aufgehört, sich für das Wohl dieser Angestellten zu interessieren. Noch eine Seite an ihm, die ich nicht kannte. Was verbirgt er sonst noch vor mir?
Mit einem unguten Gefühl im Nacken gehe ich neben ihm her, halte meine Fühler aber in alle Richtungen ausgestreckt. Obwohl ununterbrochen diese altmodische Musik läuft und Parfum in der Luft schwebt, werden meine Sinne dadurch nicht überreizt. Stattdessen sind es zwei Eindrücke, an die ich mich rasch gewöhne und die mich innerhalb weniger Atemzüge kaum mehr stören.
Was mir dafür umso mehr Sorgen bereitet, ist Sean, dessen Anspannung mit jedem Schritt zunimmt. Wobei ich zugeben muss, dass die Porträts an den gegenüberliegenden Wänden des Ganges mir ebenfalls Gänsehaut bereiten. Keine einzige Person darauf lächelt, sondern stiert ernst geradeaus, als gäbe es nichts auf dieser Welt, was sie je zufriedenstellen könnte. Gruselig, einfach nur gruselig.
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Vor einer großen, uralten Flügeltür kommen wir zum Stehen. Unsere Begleitung zögert aber nicht lange, die Klinken von beiden Türen gleichzeitig nach unten zu drücken, damit diese nach innen aufschwingen. Der Duft nach Parfum intensiviert sich und noch ein anderer zieht mir entgegen.
Blut. Von allen Seiten her riecht es danach, bombardiert mich mit seiner penetranten Präsenz, sodass ich mir die Hand vor Mund und Nase halte, um meinem Hunger nicht gleich wieder zu erliegen. Wie angewurzelt verharre ich an Ort und Stelle, halte die Luft an, versuche, die Schmerzen in meinem Oberkiefer und das Bedürfnis, meine Zähne in etwas hineinzuschlagen, zu ignorieren. Immer wieder überfällt es mich, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte, und schürt meinen Frust.
»Scht.« Eine Hand legt sich auf meinen rechten Oberarm, besänftigt zu meiner eigenen Überraschung meine aufgewühlten Empfindungen, sodass es mir gelingt, zumindest durch den Mund zu atmen. »Es ist nicht deine Schuld. Er macht das mit Absicht und versucht, dich aus der Reserve zu locken. Konzentriere dich auf mich. Auf meine Stimme. Von mir aus auch auf meinen Geruch«, flüstert Sean mir beschwichtigend zu.
Zu angespannt, um ihm zu antworten, nehme ich die Hand vom Gesicht und nicke steif. Die Worte fehlen mir vollkommen. Mein Kopf ist wie leergefegt. Was bleibt, ist ein unangenehmes Kribbeln in meinen Fingern und das schmerzhafte Pochen in meinem Kiefer.
Hinter uns fällt die große Flügeltür mit einem lauten Knall ins Schloss, lässt mich kurz zusammenzucken. Obwohl ich unbewusst neben Sean hergegangen bin und den Raum betreten habe, hatte ich noch keine Gelegenheit, mich umzusehen, doch nun hebe ich meinen Blick. Das Erste, das mir direkt auffällt, ist der große Thron, dessen Sitz- und Rückenpolster
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mit Samt bezogen sein müssen, so schön rot, wie der Stoff im Licht des Kronleuchters glänzt. Während die Bedienstete quer durch den Raum zu einer Tür auf der rechten Seite huscht, bemerke ich, dass keine Stelle an der Wand ungenutzt geblieben ist. Überall stehen Bücherregale. Höchstens bei der Tür, durch welche die Frau gerade verschwunden ist, wurde etwas Platz gelassen. Hinter dem Thron flackert es und ich höre es knistern. Es juckt mich in den Füßen, näher zu treten, aber ich habe nicht vergessen, dass wir uns sozusagen auf ›feindlichem Territorium‹ befinden.
Sean schweigt, doch erzählt mir sein Körper mehr, als er es sich wahrscheinlich wünschen würde. Er spielt nervös mit den Fingern, starrt dabei die Tür zwischen den Bücherregalen an. Schluckt schwer. Dieser Ort macht ihm zu schaffen und für einen Moment tut er mir leid. Mir wird erst jetzt bewusst, wie sehr er weiterhin unter seiner Vergangenheit und seinem Schöpfer leidet. Wenn ich doch nur wüsste, wie ich ihm dabei helfen könnte, endlich von diesem Arsch loszukommen.
(...)