"Wer braucht schon Videotheken?"
oder "Lasst die Videotheken in Würde sterben!".
Diese oder ähnliche Sätze hören wir tatsächlich manchmal.
Sie zeugen von einem merkwürdigen Missverhältnis: Während das Kino im öffentlichen Bewusstsein und auch in dem von Förderern ein großes Ansehen genießt, und jährlich tausende von Euro an Subventionen in den Kinobetrieb fließen, wird der kulturelle Wert von Videotheken oft verkannt. Schlimmer noch: es haftet ihnen der Ruf des Schmuddeligen, des Verbotenen an. Videotheken sind eine Art hässlicher kleiner Bruder des Kinos, und das Verleihgeschäft eine Art "Prostitution" der Filmkunst.
Das ist natürlich Schwachsinn. Denn gerade in unserer stark durch Staats- und Verleihrestriktionen geformten Kinolandschaft war und ist der Videothekenbetrieb seit Jeher ein Freihafen für eine deutlich größere Bandbreite an Filmen, welche sonst nie zu sehen gewesen wären.
Und was anderes zeichnet eine funktionierende Kulturlandschaft aus, wenn nicht ein breites künstlerisches Angebot?
Die Rolle der Videotheken in der Liberalisierung von (Film-)Bildung in Deutschland ist ausreichend dokumentiert und nicht wegzudiskutieren. Erst durch deren Aufkommen wurde Film für Jedermann erschwinglich und zugänglich. Und dennoch wollen wir zulassen, dass die letzten Spuren dieser Branche im Boden versickern?
Im digitalen Zeitalter kommt ihnen sogar noch eine ganz neue Bedeutung zu: Sie schaffen gesicherte Privatsphäre!
Wer glaubt, im Netz ganz allein zu sein, irrt sich. Denn die großen IT-Firmen lugen uns ständig über die Schulter, studieren unsere Vorlieben und verlinken uns innerhalb unserer Interessenblasen zu dem weiter, was wir ohnehin schon kennen. So wird unser geistiger Horizont statt weiter - immer enger. Das Gegenteil von Abenteuer, würde ich sagen. Auch wenn man ganz allein vor seinem Rechner sitzt, ist das Netz doch der öffentlichste Raum, den es gibt.
In der Videothek dagegen kennt niemand meine Vorlieben. Kann ich als Bodybuilder sentimentale Liebesfilme ausleihen, meinen Spleen für peinliche Hollywood-Stars ausleben, oder auch mal heimlich einen Zeichentrickfilm mitnehmen. Der "geschlossene" Raum der Videothek - hier ist er wirklich geschlossen. Intimität wird hier groß geschrieben, nicht nur in der Erwachsenenabteilung. Meine Vorlieben gehen nur mich etwas an, und meinem Videothekar - gebunden durch die ungeschriebene Schweigepflicht seiner Zunft - kann ich vertrauen.
Stellvertretend für die ganze Branche - und für eine ganze Epoche der Film-, Zensur- und Kulturgeschichte - möchten wir den Film-Shop erhalten und als Begegnungsstätte, Ausstellungsraum, Cafe und natürlich als Videothek erhalten.
Denn dafür brauchen wir Videotheken:
Zum Hingehen, zum Schwelgen, zum Schwatzen, sich Verlaufen, wegen der Geheimniskrämerei hinter dem schwarzen Vorhang mit dem ab 18 Schild, wegen dem vertrauten Gesicht hinter dem Tresen.
Dennoch ist es schwer, Kulturförderer auf unsere Seite zu ziehen.
"Am schwierigsten ist es, das zu sehen, was tatsächlich da ist."
Das sagt J.A. Baker in seinem berühmten Buch über die bedrohten Wanderfalken.
Mir kommen die Videotheken - und insbesondere der Film-Shop von Ecki Baum - auch ein bisschen vor wie diese Wanderfalken. Jetzt im Moment schreien alle nach Fortschritt und glauben, alle Brücken hinter sich abbrechen zu müssen, als wäre es nicht gerade eben diese Vergangenheit, aus der wir gemacht sind. Sie wollen leugnen, vergessen, schämen sich vielleicht sogar.
Sie sehen nicht, was tatsächlich da ist. Und wenn es einmal verschwunden ist...werden sie es bereuen.