Jenseits des Minimums
Wir haben Erfahrungsberichte sanktionierter Menschen gesammelt. Berichtet im eigenen Namen oder unter selbstgewählten Pseudonymen. Heute stellen wir euch drei dieser Menschen vor.
„Ich werde sie mit Stellenageboten zuballern” Das war die Wortwahl des Sachbearbeiters aus Kiel, dem Rebko (31 Jahre) zugewiesen ist. Ganz so, als ob es sich bei seiner Jobsuche um einen Krieg handeln würde. Stellenangebote als Waffen, Rebko als ihr nächster Kollateralschaden. Dabei fehlte es nicht einmal an mangelnder Initiative. Im Gegenteil. Er schrieb Initiativbewerbungen. Doch leider hatte er eine Eingliederungsvereinbarung unterschrieben und laut dieser zählten nur Bewerbungen, die auf Stellenausschreibungen erfolgten. Als es davon mal keine gab, erfüllt er also seine Auflagen nicht, obwohl er Bewerbungen verschickte. Solche, die nicht zählten in den Augen des Amtes. Rebko wurde sanktioniert. 30 Prozent wurden ihm gestrichen. Das sind um die 120 Euro und es entspricht in etwa dem, was einem Hartz IV-Leistungsberechtigten für Nahrung und Getränke pro Monat zugestanden wird. Genau so schlug es sich auch nieder. Rebko musste hungern. In Deutschland 2015.
Rebko hat Widerspruch eingelegt. Ohne Erfolg. Er reichte Klage ein beim Landesgericht. Die Klage wurde abgelehnt. Er ist in Widerrufung gegangen und rechnet damit, dass sein Fall in vielleicht 5 Jahren abschließend geklärt sein wird.
Biene ist 33 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von drei Kindern. In ihrem Fall hätte alles so einfach sein können. Im Grunde war sie nur ein paar Treppenstufen davon entfernt, nicht sanktioniert zu werden. Denn vorgeworfen wurde ihr, dass sie den Besitz ihres Kraftfahrzeugs nicht angemeldet hätte. Biene stattete der Sachbearbeiterin einen Besuch ab und klärte sie darüber auf, dass sich die Anmeldung ihres Autos in den Akten befände. Die Sachbearbeiterin hätte bloß aufstehen und diese Akte holen müssen. Stattdessen verhängte sie eine Sanktion. Ihr Widerspruch dagegen blieb erfolglos und Biene und ihren Kindern wurden 236 Euro einfach weggekürzt.
Selbstverständlich sanktionieren nicht alle Mitarbeitenden der Jobcenter so willkürlich. Aber sie haben die Möglichkeit dazu. Und das, obwohl es sich in der Regel um Menschen ohne juristische Ausbildung handelt. Einfache Angestellte einer Dienstleidtungsagentur haben die Macht, Entscheidungen über die existenzielle Sicherheit ihrer Kund*innen zu entscheiden. Die deutsche Gewaltenteilung schließt derlei Vorgänge aus. Und sie passieren dennoch. Jeden Tag.
Auch C. (60 Jahre) traf diese Willkür unerwartet hart. „Sie haben ja nicht einmal Abitur!”, stellte ihr Berufsberater fest, als sie ihm von ihrer Ausbildung zur Arbeitsvermittlerin bei der FAW (Fortbildungsakademie der Wirtschaft, direkter Partner der Bundesagentur für Arbeit) berichtete. C. erlebte ihn als sehr ungehalten. „Wenn man als Arbeitsvermittlerin tätig sein will, muss man studiert haben. Sie können momentan lediglich als Toilettenfrau eingesetzt werden."
C. lebt mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie hat ganztags im Groß- und Außenhandel gearbeitet, bis ein einschneidendes Lebensereignis sie völlig aus der Bahn warf. Zwei Kinder hat sie alleine groß gezogen, eines davon schwerst mehrfach behindert. Sie will kein Mitleid. Sie möchte einfach nur behandelt werden wie ein Mensch. Nicht ständig Angst haben vor dem nächsten Termin beim Jobcenter, wo ein Einzelner so viel Macht ausüben kann über ihre Existenz.
„Es ist für mich das erste Mal, dass irgendjemand diese Missstände erkennt und aufdeckt. Das gibt mir Hoffnung”, sagt sie über Sanktionsfrei. Hoffnung ist das Mindeste, das wir als moderne solidarische Gesellschaft ihr geben sollten. Wer noch mehr geben kann, den bitten wir inständig, uns mit einer Spende zu unterstützen. Beenden wir diese Praxis. Für ein sanktionsfreies Leben. Bedingungslos.