Zwei Menschen auf der Welt
Um diese Geschichte zu erzählen, möchte ich an dem Tag beginnen, als die junge Frau uns anruft und freudig erzählt: „Ich habe meine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Ich wollte euch nur Bescheid geben und mich für eure Hilfe bedanken. Ich muss auflegen, der Deutschkurs geht gleich los.“
Als wir sie kennenlernten, saß ein Häufchen Elend in unserem Beratungszimmer: Seit Jahren auf der Flucht, zuerst im Heimatland vor der Zwangsverheiratung, durch die Sahara und Libyen, übers Mittelmeer nach Europa – auf der Flucht wurde sie mehrfach Opfer von Vergewaltigung. Und nun in Deutschland angekommen, hat sie Angst, wieder abgeschoben zu werden. Sie ist so hochbelastet, dass schon laute Männerstimmen genügen, um sie in panische Angst zu versetzen.
Sie erzählt Abdi und mir ihre Geschichte, erzählt unter Tränen von ihrer Angst vor Abschiebung, dass sie nachts nicht schlafen kann, und von ihrer Müdigkeit durch das ewige Fliehen, Warten und Bangen: „I am so tired. I just want to have a good life.“ Sie ist ganz allein in Deutschland, die Familie hat sie verstoßen. Schon seit längerem komme ihr manchmal der Gedanke, dass es besser sei, zu sterben. „If I would die or kill myself, who would even care?“
Am Ende des Tages bringt Abdi die Frau in die Klinik. Auch nach ihrem Aufenthalt begleiten wir sie ein Stück ihres Weges. Einmal sagt sie uns, dass ihr an dem Tag unseres Kennenlernens ein völlig neuer Gedanke gekommen sei: Zwei Menschen gibt es auf der Welt, die mir zugehört haben, denen ich am Herzen liege – denen es nicht egal ist, ob ich lebe oder tot bin.
Wir sind froh, dass wir an diesem Tag da waren.