Natürlich Naturkautschuk? Eine Materialrecherche
Was ist das?
Kautschuk sind elastische Polymere, die für die Gummiproduktion eingesetzt werden. Es gibt zwei verschiedene Wege, Gummiprodukte herzustellen: synthetisch auf Erdölbasis und über Naturkautschukpflanzen, die 40 % der weltweiten Herstellung von Gummi ausmachen. Dabei wird aus dem Milchsaft, der sogenannte Latex, Kautschuk gewonnen (Statista Research Department, 2022). Die erste Ernte kann nach fünf bis sieben Jahren erfolgen (WWF, 2021).
So natürlich wie Naturkautschuk klingt, die Grundeigenschaften allein reichen nicht aus, um damit ein brauchbares Material zu erzeugen. Deshalb werden dem Kautschuk je nach Anwendungsfall Additive (chemische Stoffe) zugesetzt. Der Auszug aus der difrax Website, die Babyprodukte wie Schnuller und Flaschenaufsätze herstellen, erklärt anschaulich, was alles an Additiven drin sein kann:
- Konservierungsstoffe: Diese Chemikalien verhindern Beschädigungen am Produkt, die durch Mikroorganismen (Schimmel oder Bakterien) verursacht werden.
- Treibgase: Diese Gase sorgen für ein geringeres Gewicht des Produkts.
- Farbstoffe: Mit diesen Stoffen erhält jedes Produkt die gewünschte Farbe.
- UV-Stabilisatoren: Diese Stabilisatoren machen das Produkt beständiger gegen Sonnenstrahlung.
- Vulkanisierungsstoffe: Durch Zufügen von beispielsweise Schwefel wird das Produkt widerstandsfähiger und elastischer.
- Füllstoffe: Füllstoffe machen das Produkt günstiger und zugleich robuster.
- Weichmacher: Durch diese ölhaltigen Stoffe wird das Produkt geschmeidiger.
(difrax, 2022)
Wo steckt Naturkautschuk drin?
70 % des Naturkautschuks werden in der Reifenproduktion für Autos und Flugzeuge verarbeitet. Naturkautschuk ist hierbei elastischer und belastbarer als synthetischer Kautschuk. Bislang gibt es für diesen Anwendungsfall keinerlei Alternative. 12 % des Kautschuks wird zur Herstellung von Latexprodukten, 8 % zur Herstellung von technischen Produkten verwendet (Zeit, 2013).
Die uns bekannten Yogamatten mit Naturkautschuk sind oft ganz individuelle Gummi- oder Schaumstoffgemische. Dabei steckt nur ein gewisser Prozentsatz des Naturkautschuks in vielen Naturkautschukprodukten. Genauso wie bei Plastik muss hier nicht die anteilige Materialzusammensetzung angegeben werden, ein erfolgreiches Recycling oft unmöglich macht.
Eine weitere Kautschukquelle hat sich übrigens im russischen “falschen Löwenzahn” aufgetan, welches seit 2018 intensiv im Forschungs- und Versuchslabor Taraxagum Lab Anklam untersucht wird. Gemeinsam mit Continental-Reifen werden erste Fahrradreifen damit produziert und getestet (Frauenhofer Institut, 2022).
Wo liegt das Problem?
Hohe Nachfrage
Unsere weltweite jährliche Nachfrage nach Naturkautschuk und synthetischem Kautschuk hat sich seit 2002 mit knapp 18 Mio Tonnen bis 2018 auf rund 30 Mio Tonnen fast verdoppelt. Seitdem ist die jährliche Nachfrage bis 2020 leicht auf knapp 27 Mio Tonnen gesunken (Statista, 2022). In Südostasien angebaut, kommt die größte Nachfrage für Kautschuk aus China, dicht gefolgt von Indien und der EU (Umweltdialog, 2015). 90 % des Naturkautschuks wird von Kleinbauern in Südostasien angebaut und unterliegt starken Preisschwankungen auf dem Weltmarkt.
Folgen für Mensch und Umwelt
Naturkautschukplantagen nehmen weltweit Millionen von Hektar Landfläche ein. 2017 waren es knapp 13 Millionen Hektar, laut den Forschungsergebnissen der University of East Anglia werden bis 2024 schätzungsweise weitere 4,3 und 8,5 Millionen Hektar zusätzliche Kautschukplantagen benötigt. (Handelsblatt, 2017)
Um den Bedarf für derart große Flächen im Südostasien zu decken, werden dafür jährlich Regenwälder – teilweise illegal – abgeholzt und Monokulturen für Naturkautschukbäume errichtet. Diese Anbauart gelingt nur mit einem hohen Einsatz von Pestiziden, was wiederum Böden, Gewässer und die Artenvielfalt belastet. Zudem benötigen die Bäume viel Wasser, was sich negativ auf den Grundwasserspiegel auswirkt (Frauenhofer Institut, 2022). Zudem muss der wertvolle Rohstoff um die halbe Welt – wenn nicht sogar durch eine Weiterverarbeitung – um die ganze Welt transportiert werden.
Begleitet wird diese Anbauweise durch gravierende Menschenrechtsverletzungen wie gewaltvolle Umsiedlung und widrige Arbeitsbedingungen für kleinbäuerliche Familien, die von den gemeinschaftlich genutzten Wäldern illegal vertrieben werden und für die Landnahme kaum entschädigt werden (Umweltdialog, 2015).
Der nachhaltige Anbau von Naturkautschuk ist möglich und es gibt auch einige Organisationen, die sich ganz und gar des nachhaltigen Anbaus von Naturkautschuk verschrieben haben. Allerdings sind die Lizenzierungen sehr kostenintensiv, da neben dem fairen und transparenten Preis auch unabhängige Beobachter*innen entsandt und die Produktion sowie die Arbeitsbedingungen beobachtet und bezeugt werden müssen.
wildlines Fazit:
Naturkautschuk ist aufgrund seiner Verwertung mit Zusatzstoffen oft weder 100 % natürlich, noch 100 % recyclebar. Außerdem gibt es großen Nachholbedarf für die breite Industrie, was den nachweislich nachhaltigen – und damit meinen wir den fairen und ökologisch transparenten – Anbau anbelangt.
Der oft beworbene Nachhaltigkeitsaspekt des Naturkautschuks beruht einzig und allein darauf, dass in den meisten Gummi- oder Schaumstoffgemischen ein nachwachsender Rohstoff zu einem gewissen Anteil enthalten ist.
Wir sind der Meinung, dass dieses Argument nicht mehr reicht! Wir müssen uns bereits bei der Produktentwicklung Gedanken machen, wo die Wertstoffe herkommen, die wir verarbeiten wollen, und was mit ihnen passiert, wenn sie ausgedient haben. Dabei existieren bereits so viele Materialien, die tagtäglich in der Industrie weggeworfen werden.
Vielleicht hilft dir dieser Beitrag beim nächsten Kauf eines Naturkautschukprodukts ein wenig kritischer auf die Nachhaltigkeitsaussagen zu schauen. Du wirst überrascht sein, wie viele Unternehmen Naturkautschuk als “nachhaltig” bewerben und für sich nutzen – ohne genauere Angaben zu machen.