Auszug (II)
I
Bodhidharmas „Nicht-Wissen“
und Prinzessin Mononoke
Ich bin Mönch des Zen-Buddhismus, genauer gesagt aus der Rinzai-Sekte. Der Tempel, für den ich als zwölfter Abt Sorge trage, ist der Daitakusan-Ryūunji in Tokyo im Bezirk Setagaya. Während der Edo-Zeit (1603–1868), noch zu Lebzeiten der 47 Samurai, und zwar im Jahre 1699 wurde dieser Zen-Tempel errichtet.
Bis vor neun Jahren war ich in einer Übungshalle (jap. dōjō) in Kyoto, um mich in den buddhistischen Übungen zu schulen. Ab meinem 22. Lebensjahr hatte ich über neun Jahre hinweg jeden Tag meine Zeit der Sitz-Meditation (jap. zazen) und den „Lehrgesprächen zwischen Meister und Schüler“ (jap. zenmondō) gewidmet, um durch diese Ausbildung, die sogenannte „Erleuchtung durch Zen“ (jap. zen no satori) zu erlangen. Da ich einzig und allein nur diese Dinge über einen langen Zeitraum hinweg geübt habe, scheint es vielleicht so, dass ich mir in dieser Zeit wirklich viel angeeignet hätte. In der Tat habe ich sogar gelernt, mir Sesam-Tofu zuzubereiten, zu nähen und auf einem Acker Gemüse anzubauen. Aber in Wahrheit hatte ich neun Jahre lang tief in mir das Gefühl ich könne gar nichts.
Zazen diente mir nicht dazu, etwas zu können, sondern meine eigenen Kenntnisse und Erfahrungen über Bord zu werfen. Da für gewöhnlich Studien und Übungen das Ziel verfolgen, sich eine Technik anzueignen, kommt auch nichts zustande, wenn da gar nichts ist, was man erlernen kann. Doch mit der Zen-Ausbildung verhält es sich anders.
Während ich immer wieder übte, mein Selbst abzuwerfen, stellte ich etwas fest. Und zwar, dass es in Japan vier Jahreszeiten (jap. shiki) gibt und jede wiederum aus „Zeiten, wo ein bestimmtes Obst oder Gemüse reif ist“ (jap. shun), bestand. Das Leben im Dōjō, wo es keine Klimaanlagen und noch nicht einmal Steckdosen gab, hatte mich gelehrt, dass ich in meinem bisherigen äußerst bequemen Leben kein Gefühl für die Jahreszeiten entwickelt hatte. Es geht nicht darum, erneut zu entdecken, was man bisher nicht hatte, sondern das, was man übersehen hat, wiederzuerkennen, und dies erfolgt durch die Schulungen des Zen.
Beispielsweise um die in voller Blüte stehenden Blumen zu entdecken, die man entlang des Weges tagein tagaus übersah, weil man ständig tief versunken auf den Bildschirm seines Smartphone starrte.
Wenn man einmal von etwas loslässt und kurz innehält, kann man seine wahre innere Einstellung wahrnehmen, die von der alltäglichen Geschäftigkeit und den unaufhörlich hintereinander eingehenden Informationen verschüttet ist.
Als ich meiner Zen-Ausbildung ein Ende setzte, kehrte ich nach Tokyo in meinen Tempel zurück und hielt voller Tatendrang Treffen für Zen-Meditationen u. ä. ab, um Zen zu vermitteln. Dank einer Fernsehsendung, die auch dazugehörte, kam es zu einer unerwarteten Begegnung.
Das war das Treffen mit Suzuki Toshio vom Studio Ghibli. Suzuki hatte diese Fernsehsendung, in der ich Zazen erklärt hatte, gesehen und schlug mich daraufhin bei einer gewissen Zeitschrift als seinen Gesprächspartner vor. Um die Wahrheit zu sagen, für mich als großen Fan der Ghibli-Filme waren dies äußerst erfreuliche Neuigkeiten, zumal man eine Extraausgabe herausbringen wollte.
Ich bin 1979 geboren und jedes Mal, wenn in meiner Kindheit ein Ghibli-Film herauskam, freute ich mich. Das war immer ein Familienereignis. Von allen gefällt mir Prinzessin Mononoke (jap. Mononoke hime) am allerbesten. So sehr, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben allein ins Kino gegangen war, um denselben Film noch einmal zu sehen. Bei jedem Ghibli-Film kann ich sagen, dass ich das Kino mit einem lebensbejahenden Gefühl verließ, was für mich ein wundersames Mysterium ist.
Das erste Treffen mit Suzuki Toshio bedeutete für mich als Fan natürlich eine ständige Anspannung. Die vielen Gespräche über einen langen Zeitraum hinweg machten dann wirklich Spaß und auch für mich als Zen-Mönch brachten sie viele neue Erkenntnisse. Suzukis freie und ungebundene Lebensweise nach dem Motto „das Jetzt zählt“ (jap. ima ga daiji), trifft die Lehre des Zen genau, so kam es mir in den Sinn.
Auch wenn ich hier abschweife, ich nahm all meinen Mut zusammen und stellte selbst solche Fragen, die mich schon immer beschäftigt hatten, wie: „Warum konnte Jiji aus ‚Kikis kleiner Lieferservice‘ nicht mehr sprechen?“
Solche Begegnungen gab es also, und so dachte ich mir, dass die Botschaft, die allen Ghibli-Filmen gemein ist, lautet: „Das menschliche Dasein ist es wert zu leben.“ Die Zen-Worte, man solle sein Leben in unmittelbarer Zukunft schätzen, stehen dazu gewiss irgendwie miteinander in Verbindung, woraufhin Suzuki mich zu diesem Buch mit dem Titel Zen-Worte und Ghibli anregte. Ich bete dafür, dass das ein oder andere dieser Worte zu Ihrer Lebensstütze wird.