30.8.2016, 22 Uhr, ICE von Frankfurt nach Hannover
Es ist der sechste und letzte Tag unserer Reise. Und wieder ist ein Tag, an dem wir fast nur unterwegs sind. Wie an vier anderen. Distanzen überbrücken, an andere Orte gelangen. Auch etwas, was wichtig ist. Gut, dass es passiert ist. Um am Ziel zu sein, muss man eben erstmal am Ziel ankommen.
Tausende Kilometer haben wir überbrückt, mit Zug und Flugzeug. Und in Russland mit dem Auto. Und es war wichtig, zu reisen – vielleicht auch, so lange zu reisen. Denn auch innere Distanzen und Fremdheiten durften überbrückt werden. ….man lernt sich schon ein wenig kennen als Menschen, auf einer 7stündigen Autofahrt, zu fünft, in einem Mietauto. Vor allem für Ksenia, unsere Übersetzerin war das wichtig – sie sollte ja helfen, unsere Distanzen sprachlicher Natur zu den RussInnen zu überwinden, und so war es gut, dass sie ein Gefühl für uns bekommt. ...das hat sehr gut geklappt.
Und auch das Land lernt man kennen, zumindest auf einigen Ebenen. Lange, gerade Straßen, mit Schlaglöchern, oder ohne. Eimer voller Äpfel in den einsamen Dörfern am Straßenrand. Birken unkultiviertes Land, bunte Holzhäuser, Birken. Volle Bundesstraßen, fast leere Landstraßen. Wind und Einsamkeit über der fast hügellosen Weite.
Und wir alle lernten Ingrid etwas mehr kennen. Die Gespräche zwischen ihr und Maike füllten einen Großteil der Autofahrt aus. Enkelin und Oma, so lange ohne Störung nebeneinander. Da kann man sich Fragen stellen, auf der Fahrt zum Grab des Uropas. Bisher Ungefragtes bekommt Antwort – auch so wurden Distanzen überbrückt.
Die „tiefste“ Distanz vielleicht die der Zeit – 27.8.1941 und jetzt, 75 Jahre danach. Ein Kreis konnte sich schliessen, lange ersehnt, lange geplant – und fast ungläubig leicht. Und einfach: mit unserem Fragen nach dem Krieg bei den einfachen Menschen dort, nach dem Schicksal eines einfachen deutschen Soldaten bei Welikije Luki, auf dem Land, da berührten wir etwas, Türen öffneten sich. Und diese offenen Türen überbrückten auch jene zeitliche Distanz, die die alte Tante Alja zu ihren Kriegserlebnissen hatte. Und so fanden Begegnungen statt, auf der Suche nach dem Grab von Adolf, die alle bereicherten.
Die weite Reise war es wert – das bisweilen anstrengende Strecke machen hat sich gelohnt. Kriege reissen Familien und Menschen entzwei, und diese individuellen Geschichten von Trauer und Schmerz, von offenen Stellen, Kreisen, füllen diese Welt. Wir erzählen eine Geschichte, deren Kreis sich nach 75 Jahren geschlossen hat. Etwas kommt an am Ziel, befriedet sich, wird ruhiger. Mögen sich immer mehr solcher Geschichten durch die Generationen erzählen.
Matthias