Luftreinigerpflicht & Goldstandard Infektionsschutz
Liebe Leute,
ein Hauptziel der »Control-Covid« Verfassungsbeschwerde ist die Forderung nach einer Luftreinigerpflicht, exemplarisch für die Etablierung eines wegweisenden, neuen Standards im Gesundheitsschutz zur Sicherung der Luftqualität in Innenräumen.
Selbstverständlich würden wir darüber hinausgehende, aus Sicht der Wissenschaft dringend gebotene Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen auch fordern. Dazu haben wir einen »Goldstandard« des Infektionsschutzes formuliert, den ich nachfolgend zur Einsicht veröffentliche.
Juristischer Hintergrund – Kurze Anmerkung
Dazu noch einmal eine wichtige Erläuterung, warum die Forderung einer konkreten Maßnahme im Zuge einer Verfassungsbeschwerde juristisch durchaus ein sehr starker Ansatz ist. Zunächst kommt dem Gesetzgeber grundsätzlich die sogenannte Einschätzung-, Beurteilungs- und Regelungsprärogative zu. Bedeutet, konkrete Gesetzgebungsvorschläge sind erst einmal nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts! Darüber hinaus ergibt sich schon aus strukturellen Gründen hinsichtlich Schutzpflichten, dass dem Gesetzgeber ein Spielraum zur Lösung von zu regelnden Problemen zukommt. (Alexy 2015: 410-420) Das muss und kann an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Hauptpunkt ist, dass es durchaus außergewöhnlich ist, bei einer Verfassungsbeschwerde überhaupt konkrete Maßnahmen zu fordern, was aber hinsichtlich der besonderen Problemlage geboten erscheint:
»Die Beschwerdeführer sind aus guten Gründen der Auffassung, dass die vom Bundesverfassungsgericht in aller Regel geübte Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber mit Blick auf dessen Einschätzungs-, Beurteilungs- und Regelungsprärogative in einer Sondersituation wie der derzeitigen eine Modifikation erfahren muss, soweit es um Maßnahmen geht, die mit keinen oder äußerst geringfügigen Grundrechtseingriffen verbunden sind.«
Siehe dazu den letzten Blogeintrag: Abstract – Kernaspekte der Verfassungsbeschwerde:
Der »Goldstandard« des Infektionsschutzes aus Sicht der Beschwerdeführer (Rechtsanwalt Till Günther)
Ginge es tatsächlich nach dem, was die Beschwerdeführer für einen idealen Infektionsschutz gegen SARS-CoV-2 im jetzigen Stadium für nötig halten, wäre die erste Linie der Verteidigung eine allgemeine Pflicht zur Inanspruchnahme von Schutzimpfungen gemäß dem jeweils aktuellen medizinischen Stand der Erkenntnis, was Anzahl der Impfungen und Beschaffenheit der Impfstoffe betrifft. Damit wäre gewährleistet, dass alle Menschen in Deutschland – mit der selbstverständlichen Ausnahme derjenigen, bei denen reale medizinische Probleme einer Impfung entgegenstehen – den bestmöglichen Schutz vor einer Infektion, jedenfalls aber vor einem schweren Verlauf einer doch erfolgten Ansteckung und Erkrankung genießen. Die zweite Linie der Verteidigung wäre die umfassende Pflicht zum Tragen einer FFP-2 Maske im öffentlichen und halböffentlichen Raum, also überall dort, wo Personen, die nicht im gleichen Haushalt leben, zusammentreffen – seien es Ämter und Behörden oder Geschäfte und Unternehmen, und zwar natürlich sowohl für die dort Arbeitenden wie auch Besucherinnen und Kunden, aber natürlich auch Kindergärten und Schulen. Dass derartige Masken geeignet sind, das Infektionsrisiko signifikant weiter zu verringern, ist schon lange erwiesen. In Verbindung mit einer allgemeinen Impfpflicht wäre diese Maßnahme ohne Zweifel geeignet, das abstrakte Infektionsrisiko noch weiter zu senken. Als dritte Linie der Verteidigung müssen aus Sicht der Beschwerdeführer regelmäßige und umfassende Testungen angesehen werden, um individuell und konkret infizierte Personen erkennen zu können. Die vierte Linie wäre das regelmäßige und gründliche Lüften aller Bereiche, in denen eine Mehr- oder Vielzahl von Personen aus unterschiedlichen Haushalten zusammentreffen, weil der Luftaustausch ein einfaches und wirksames Mittel zur Reduzierung einer Virenlast in der Raumluft darstellt. Sodann und in fünfter Linie ist die flächendeckende Aufstellung von Geräten zur Luftreinigung zu nennen. Insoweit stehen heute viele Gerätemodelle zur Verfügung, die die vom Verein Deutscher Ingenieure formulierten Anforderungen erfüllen und damit einer Steigerung der Viruskonzentration in den Phasen zwischen den Lüftungen entgegenwirken. Würden alle diese Maßnahmen konsequent umgesetzt, wäre realistischerweise anzunehmen, dass die Infektionen mit SARS-CoV-2 (und vielen anderen Erregern) drastisch zurückgingen und es eigentlich nur noch zu vereinzelten Ansteckungen käme. Als flankierende Maßnahme schwebt den Beschwerdeführern eine umfassende und dauerhafte systematische Überwachung des Erregers im Abwasser vor.
Freilich ist den Beschwerdeführern bewusst, dass dieser aus ihrer Sicht fast schon selbsterklärende, wissenschaftlich eigentlich zwingende Maßnahmenkatalog so kaum jemals Wirklichkeit werden wird. Das gilt schon deshalb, weil eine allgemeine Pflicht zur Schutzimpfung ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wäre. Auch wenn nach vielfach vertretener Auffassung keine grundsätzlichen rechtlichen Bedenken gegen die Statuierung einer generellen Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 bestehen und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Pflicht zum Nachweis einer Schutzimpfung gegen Masern vom 21. Juli 2022 ebenfalls die Tendenz zu entnehmen ist, eine solche allgemeine Impfpflicht rechtlich für zulässig zu halten, ist doch nicht zu verkennen, dass eine große Zahl von Menschen eine solche Pflicht rigoros ablehnen würden. Dieser Effekt müsste zweifellos in die Abwägung eingestellt werden. Es bestünde dann eine reale Gefahr, dass die Etablierung einer Impfpflicht und erst recht ihre zwangsweise Durchsetzung dazu führt, dass die Akzeptanz des Staates und seiner Einrichtungen bei vielen Menschen verlorengeht. Das Mehr an Infektionsschutz, das eine (notfalls gegen Widerstand durchgesetzte) Impfpflicht bewirken könnte, würde dann womöglich mit einem Noch-Mehr an Staatsskepsis und generalisierter Ablehnung hoheitlicher Maßnahmen erkauft werden, als für das Gemeinwohl verträglich wäre. Dass dies eine gesellschaftspolitische Erwägung ist, die auf – aus Sicht der Beschwerdeführer, aber ganz gewiss nicht nur aus ihrer – irrationale bis schlicht irrsinnige Befindlichkeiten einer Minderheit Rücksicht nimmt, ist bedauerlich. Aber es hilft auch nicht weiter, wenn man ausblendet, dass jede Art von staatlichem Zwang, auch dann, wenn er sachlich gerechtfertigt ist oder wäre, wieder zu Abwehrhaltungen führt. Der Staat des Grundgesetzes ist für uns Heutige, die in ihm leben, der beste Staat der bisherigen deutschen Geschichte. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist sein Fortbestehen keine Selbstverständlichkeit. Die Staatsgewalten müssen deshalb sorgfältig abwägen, ob eine Maßnahme wie eine allgemeine Impfpflicht mehr nutzt als schadet oder umgekehrt.
Die Beschwerdeführer sehen auch, dass die generelle Pflicht zum Tragen einer FFP-2-Maske jedenfalls in Kindertagesstätten, in Grundschulen und jedenfalls in den unteren Klassen der weiterführenden Schulen zwar bei konsequenter Umsetzung ein hochwirksames Mittel zur Verbesserung des Infektionsschutzes wäre, dass der Knackpunkt aber genau darin liegt, eine konsequente Umsetzung zu gewährleisten. In den 1980iger Jahren gab es eine Kampagne zur Verbesserung der Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr, die mit dem Slogan »Kinder haben keine Bremse« auf die fehlende Impulskontrolle von Kindern aufmerksam machte. Daran, dass Kinder sich wie Kinder verhalten, hat sich seither nichts geändert. Man muss deshalb realistischerweise damit rechnen, dass gerade kleine Kinder ihre Maske nicht durchgängig und korrekt tragen, sondern sie jedenfalls zeitweise abnehmen oder sie ihnen verrutscht, so dass die Nase nicht mehr bedeckt ist. Es gibt sicher gerade ab dem Grundschulalter viele Kinder, die genügend Einsicht und Reife besitzen, um eine Maßnahme, deren Notwendigkeit und Wirksamkeit man ihnen erklärt hat, einzuhalten. Es hieße aber wohl, die Realität zu verkennen, wenn man nicht damit rechnete, dass das bei sehr vielen Kindern nicht der Fall ist – und dass die Lehrerinnen und Lehrer größte Mühe haben würden, eine konsequente Beachtung der Maskenpflicht durch ständiges Mahnen und Kontrollieren zu gewährleisten. Für das Betreuungspersonal in Kindertagesstätten dürfte das schlicht unmöglich sein.
Das alles führt dazu, dass die Beschwerdeführer mit dem hier verfolgten Begehre von dem oben skizzierten Ideal des Infektionsschutzes auf ein weniger wirksames, dafür aber im realen Leben erreichbares Maßnahmenbündel ausweichen müssen. Wenn man die oben genannten Maßnahmen entsprechend neu gewichtet, wäre in erster Linie daran zu denken, wieder regelmäßige Testungen gerade in der Kindertagesstätten und Schulen zu etablieren. Zwar sind diese selbst in der schonendsten Variante des »Lolly-Tests« mit einem gewissen Eingriff in die körperliche Integrität verbunden. Doch ist dieser Eingriff so geringfügig, dass er mit Blick auf den zu erwartenden Gewinn in Form einer raschen Erkennung von Infektionsfällen und nachfolgender Isolierung der infizierten Personen gerechtfertigt werden kann – denn die Vermeidung von Kontakten zu Infizierten ist immer noch die beste Gewähr dafür, dass das Coronavirus sich nicht weiter verbreiten kann. Allerdings ist die mittlerweile erfolgte Aufhebung der Quarantänepflicht für Infizierte etwa in Baden-Württemberg natürlich ein Schritt, der eine Teststrategie wie die hier verfolgte praktisch entwertet, gerade wenn ein infiziertes Kind trotz Infektion in den Kindergarten darf. Wenn man dann nicht so weit geht, alles verfügbare Personal dazu abzustellen, darauf zu achten, dass das betroffene Kind wenigstens die ersatzweise geltende Maskenpflicht einhält, ist die Weitergabe der Infektion an andere Kinder vorprogarmmiert. Weiter steht das regelmäßige gründliche Lüften aller kritischen Bereiche als einfaches, hocheffektives Mittel mit ganz oben. Wer ein CO2-Messgerät besitzt (und das sind ja mittlerweile viele), der kann nach dem Öffnen des Fensters dabei zuschauen, wie sich die Luftqualität innerhalb von Minuten dramatisch verbessert. Die Aufstellung und Nutzung von Luftreinigern ist aus Sicht der Beschwerdeführer deshalb ein wesentlicher Baustein einer zugleich realistisch umsetzbaren und wirksamen Verbesserung des Infektionsschutzes. Dies gilt namentlich auch deshalb, weil diese Maßnahme mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen in Kindertagesstätten und Schulen mit keinerlei Grundrechtseingriffen verbunden ist. Es ist in der Tat schwer vorstellbar, wie man eine solche Maßnahme zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung deklarieren könnte. Richtig ist natürlich, dass die Anschaffung solcher Geräte, ihre Wartung und ihr Betrieb Kosten verursachen. Eine entsprechende Pflicht würde daher das Eigentumsgrundrecht privater Träger von Betreuungseinrichtungen und Schulen, aber auch die Inhaber von Unternehmen, Einzelhandelsgeschäften und Supermärkten finanziell belasten. Dieser Belastung ließe sich indes durch steuerrechtliche Regelungen oder direkt Beihilfen entgegensteuern. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, dass eine flächendeckende Verbesserung der Luftqualität einschließlich einer Verringerung jeglicher Virenlast naheliegenderweise auch den Effekt hätte, dass sich andere Infektionskrankheiten weniger verbreiten. Es ist deshalb ohne weiteres anzunehmen, dass die Etablierung von Luftreinigern als Standardausstattung von Büroräumen, Geschäften und anderen Arbeitsplätzen insgesamt zu einer Senkung des Krankenstandes insbesondere in den Herbst- und Wintermonaten führen würde. Ohnehin ist es eine Gemeinsamkeit der hier als möglichst wirksamer Infektionsschutz in Bezug auf SARS-CoV-2 vorgeschlagenen Maßnahmen sich zugleich und geradezu zwangsläufig positiv auf den Gesundheitsschutz auswirken würden – definitiv ein willkommener Nebeneffekt. Auch in diesem Szenario spielt die Maskenpflicht noch immer eine wesentliche Rolle, weil eine unvollkommene Umsetzung dieser Maßnahme noch immer eine bedeutende Verbesserung gegenüber ihrem Unterlassen darstellt. Solange wenigstens viele Kinder ihre Maske mehr oder weniger durchgängig und korrekt tragen, ist immerhin doch wieder etwas gewonnen.«
Till Günther, Rechtsanwalt
Alexy, Robert (2015):
Theorie der Grundrechte.
Frankfurt am Main: Suhrkamp