Textprobe: Innovation … is fundamentally social
Die realen gesellschaftlichen Veränderungen sind meist das Ergebnis von Kultur- und Geschäftsmodellinnovationen. Dies ist der Grund, warum der Endverbraucher nicht alle technologischen Innovationen sofort umsetzt. Die Zeitspanne ist manchmal erheblich länger als anfangs gedacht. Ein gutes Beispiel für die Nutzerabhängigkeit von Innovationen ist die AR/VR-Technologie, die noch lange nicht im Massenmarkt angekommen ist und auf absehbare Zeit auch nicht ankommen wird. Obwohl mittlerweile fast zehn verschiedene Systeme auf dem Markt sind, können sich diese neuartigen Technologien nicht beim Endkonsumenten durchsetzen. Die Endgeräte sind einerseits zu teuer, andererseits unausgereift und erzeugen zum Teil motion sickness. Niemand kann mit Sicherheit sagen, warum diese Technologien auf dem Massenmarkt nach wie vor nicht ankommen, auch wenn der Absatz während der Corona-Pandemie gestiegen ist.
Am Anfang steht der Endnutzer, also der User. Eigentlich müsste man ihn deshalb Anfangsnutzer nennen (Behrmann 2017, S. 83–95). Es sind seine veränderten Nutzungsgewohnheiten, die die Disruption erst erlauben. Solange er sich nicht bewegt, bewegt sich gar nichts. Daher ist die Digitalisierung vor allem ein soziales Phänomen, das auf der Seite der Unternehmen und der Nutzer-Communitys bzw. ihrer Erwartungen Platz greift. Innerhalb der Creative Industries fächern sich die Bereiche Innovation (technologische Kreativität), Wirtschaft (wirtschaftliche Kreativität) und Kultur (künstlerische und kulturelle Kreativität) auf und bilden ein engeres und stärkeres Zusammenspiel als je zuvor. Hier kommen neben Technologie auch Innovationen in Geschäftsmodellen und Design ins Spiel.
Der Strukturwandel der Öffentlichkeit wurde bereits 1962 von Jürgen Habermas in seiner Habilitationsschrift beschrieben. In seinem Buch arbeitet der Soziologe heraus, wie die ursprünglich an einer bürgerlichen Zeitungsleserelite orientierten Demokratiekonzepte und Modelle aufgrund des Aufkommens von Massenkommunikationsmitteln wie Radio und Fernsehen neu gedacht werden müssen (Habermas 1962, S. 13). Sein Konzept des herrschaftsfreien Diskurses als Antwort auf diese Entwicklungen wird heute in gewisser Weise in den zahllosen TV-Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland umgesetzt. Gerade während der Corona-Krise wurde der politische Diskurs weitgehend bei Anne Will oder Markus Lanz geführt. Auch soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook tragen hier einen Anteil bei. Heute jedoch müsste Habermasʼ Buch neu verfasst werden. Der Strukturwandel hat sich noch viel radikaler fortgesetzt. Printmedien spielen heute eine noch viel geringere Rolle, zudem zwang die Digitalisierung sie, ihre Strukturen und ihre „Newsrooms“ (Zilles und Cuenca 2016, S. 3) neu zu organisieren. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen erreicht nur noch die älteren Generationen. Selbst Twitter bedient heute eine erstaunlich alte Nutzergruppe. In der postindustriellen, wissensbasierten und vernetzten Gesellschaft erfolgt eine Verschiebung vom passiven Nutzer hin zu einem partizipativen Nutzungsmodell. Medien- und Werbeunternehmen müssen heute einen Dialog mit dem Publikum führen.