Statement von Rechtsanwalt Günther an die Crowdfunding Community
Liebe Leute, der Schriftsatz zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde steht kurz vor der Fertigstellung. Die Finalisierung hat sich zuletzt jedoch noch einmal etwas verschoben, da wir auf aktuelle Entwicklungen reagieren müssen, bzw. wollen. Die Dynamik der Pandemie bringt immer weitere Studienlagen und politische Konstellationen mit sich, die es strategisch einzubeziehen gilt für die Argumentationsansätze des Schriftsatzes.
Zu beachten galt es kürzlich insbesondere noch die sogenannte »Evaluierung« der Coronamaßnahmen. Hinsichtlich der berechtigten und belegbaren Zweifel am politischen Willen, der Pandemie präventiv zu begegnen auf Grundlage internationaler Forschung, ist für uns beachtenswert, dass die Studie erhebliche methodische Mängel aufweist. Politisch problematisch sind auch die Verbindungen zur Querdenkerszene.
Darüber hinaus musste insbesondere der juristische Part der Studie genau analysiert werden, da konkret von hoher Relevanz. Dazu ein paar Überlegungen von Herrn Günther in seinem aktuellen Statement.
Des Weiteren Einblicke in einen Argumentationsansatz des Schriftsatzes, der sich exemplarisch auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Nichtraucherschutz bezieht.
Nachfolgend das Statement von Rechtsanwalt Günther:
»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,
hier noch einmal ein kurzes Statement aus der Werkstatt.
Der Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik, der kürzlich vorgelegt worden ist, enthält eine starke Kritik der beteiligten Juristen an den Rechtsgrundlagen der Pandemiebekämpfung. Das zeigt, dass die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und die diversen dazu ergangenen Verordnungen teilweise auch eine Hoppla-di-hopp-Reaktion des Gesetz- und Verordnungsgebers auf die sich verändernde Lage gewesen sind. Die Sachverständigen plädieren für eine grundlegende Reform des Infektionsschutzgesetzes. Der für uns bedeutsame Aspekt ist hierbei weniger rechtlicher Natur als eher psychologischer, denn wenn eine Verfassungsbeschwerde sich (in welchem Umfang auch immer) gegen ein Gesetz richtet, das sich seit Jahrzehnten bewährt hat, wird das Bundesverfassungsgericht tendenziell weniger geneigt sein, dem nachzugehen, als wenn es sich um ein Gesetz handelt, das nach quasi regierungsamtlicher Einschätzung nur unzureichend geeignet ist, seinen Zweck zu erfüllen.
Ein weiterer Gedanke, den ich noch entwickelt habe, ist folgender: In meinem letzten Statement hatte ich darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht aus Gründen der Gewaltenteilung grundsätzlich sehr zurückhaltend ist, wenn es darum geht, den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers zu beschneiden. Eine von vielen Entscheidungen, die diese Herangehensweise mit Blick auf das Grundrecht eines Beschwerdeführers auf Leben und körperliche Unversehrtheit bekräftigen, ist ein Beschluss vom 9. Februar 1998 mit dem Aktenzeichen 1 BvR 2234/97 (findet man im Internet sofort, wenn man das Aktenzeichen in Anführungszeichen in die Suchmaschine eingibt). In jenem Fall hatte der Beschwerdeführer dem Gesetzgeber vorgeworfen, er tue nicht genug, um Nichtraucher davor zu schützen, dass sie in der Öffentlichkeit mit Tabakrauch konfrontiert werden. Das Gericht hat in seinem Beschluss aufgezählt, was der Gesetzgeber aber tatsächlich getan hatte, und gesagt, dass das jedenfalls nicht evident unzureichend ist und alles weitere dem Gesetzgeber überlassen bleiben muss, und zwar auch dann, wenn die Grundrechte die Staatsgewalt prinzipiell auch dazu verpflichten, den Grundrechtsschutz zu verbessern, wo immer das möglich ist. Soweit wir in der Verfassungsbeschwerde ein Programm an Maßnahmen vorschlagen, das aus unserer Sicht umgesetzt werden muss, um eine wirksame Eindämmung der Pandemie zu bewirken, müsste unter diesen Voraussetzungen auch dargetan werden, dass es – wissenschaftlich betrachtet – gar nicht anders geht und der Gesetzgeber deshalb de facto gar keinen Spielraum mehr hat, um die Sache anders zu sehen. Der (weiterentwickelte) Gedanke ist nun, dass die bisher vorliegenden Entscheidungen, in denen Beschwerdeführende ein Tätigwerden des Gesetzgebers erreichen wollten, zumindest einmal nicht in einer Lage wie der derzeitigen ergangen sind, sondern in »normalen« Zeiten. Ich bin aber der Meinung, dass in Zeiten einer Pandemie auch das Bundesverfassungsgericht seine Prüfungsmaßstäbe anpassen sollte und dem Gesetzgeber jedenfalls zur Sicherheit auch mutiger und weniger zögerlich Vorschriften machen sollte, um jedenfalls solche Maßnahmen umzusetzen, die nicht wirklich mit Grundrechtseingriffen verbunden und zweifellos wirksam sind – wie das Aufstellen von Luftfiltern. Das verleiht der Sache zugleich noch einmal eine deutlichere grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, weil es auf eine Modifikation der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinausläuft. (...)
Beste Grüße, Till Günther«