Textprobe: Nobody knows
Textprobe 4:
„Demand is uncertain“ – Die Nachfrage ist unsicher. Zum Zeitpunkt der Herstellung, also in der Investitionsphase, ist es grundsätzlich unklar, ob die Kosten der Produktion jemals wieder hereingeholt werden können. Caves prägt damit den Begriff des „Keiner-weiß-es-vorher-Prinzips“ (nobody knows property) (Caves 2002, S. 3).
Die Ungewissheit über die zukünftigen Absatzchancen eines kreativen Produktes zum Zeitpunkt der Herstellung ist in der Tat ein besonderes Kennzeichen der Creative Industries. Weder ein Filmproduzent noch ein Gameentwickler oder Modedesigner weiß mit Sicherheit, ob er mit seiner Arbeit tatsächlich den Markt erreichen wird. Dieses hohe Risiko besteht insbesondere, weil die Herstellung kreativer Produkte in der Regel mit hohen Fixkosten verbunden ist, die gänzlich vor dem Verkauf des ersten Stückes liegen und daher vorfinanziert werden müssen. Das Risiko ist hoch, da es sich im Falle eines Misserfolgs um verlorene Kosten (sunk costs) handelt (Caves 2002, S. 3 f.).
Da es sich außerdem um ein Erfahrungsgut (Kiefer 2005, S. 141–142) handelt, kauft der Käufer „die Katze im Sack“ (Behrmann 2017, S. 33). Die klassische Medienökonomie betrachtet diese Produkte daher auch als Erfahrungs- und Vertrauensgüter. Endkunden können „den Informations- und Unterhaltungswert erst dann beurteilen, wenn der Rezipient ihn bereits konsumiert hat“ (Beyer und Carl 2012, S. 13). Damit wird das Nobody-knows-Prinzip beschrieben, das weitreichende Implikationen hat: Das Risiko liegt auf der Seite des Rezipienten. Folglich sind in diesem Sektor die vertrauensvolle Kundenbindung, die Glaubwürdigkeit sowie das Image essenziell für ein Medienunternehmen.
In der Filmindustrie ist dieses Problem seit Langem bekannt. Es ist im Vorhinein sehr unsicher, ob das Produkt seine Kosten überhaupt wieder einspielen oder gar Gewinn machen kann. Durch die Etablierung von Stars und die Entwicklung von Marken wird zur Stabilisierung des Verbrauchervertrauens beigetragen. Kinokarten werden in der Regel auf der Grundlage eines Plakats erworben – und zwar endgültig. Wenn der Film dem Zuschauer nicht gefallen hat, bekommt dieser sein Geld nicht zurück. Eine solche Asymmetrie bezüglich der Information besteht bei vielen Kunden in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Dem wird durch serielle Produktion, Starkult und Markenbildung begegnet. Die Wertbildung vollzieht sich insoweit anders als in der klassischen Industrie.
Man stelle sich den Autor eines Buches vor, beispielsweise des Ihnen vorliegenden Buches. Während das Buch verfasst wird, ist unklar, ob es wirtschaftlich erfolgreich werden wird. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Buches von April 2018 bis Juni 2021 übernehme ich das Risiko der Herstellung des Textes allein, da ich nicht weiß, ob jemand dieses Buch lesen oder ob es ihn interessieren wird. Erst wenn das Buch veröffentlicht ist, kann der Erfolg ersichtlich werden. Schreibt dagegen ein bereits erfolgreicher Bestsellerautor ein Buch, ist das Risiko, dass das Projekt ein Flop wird, für ihn geringer – und die Chance auf Erfolg größer.