"Um Haaresbreite" - Ein Kurzfilm über Willkür in Russland

Wer wärst du, wenn du in einem anderen Land geboren wärst?

Diese Frage stellen sich Nico und Kolja 2600 Kilometer von einander entfernt, während sie einen Waschsalon betreten - Nico in Darmstadt und Kolja in Jeroslawl, Russland. Außer ihren blau-gelb gefärbten Haaren verbindet die beiden Männer überhaupt nichts. Trotzdem landen sie unabhängig von einander im selben Schlamassel: ihnen wird das Handy geklaut. Als Nico zur Polizei geht, um Anzeige zu erstatten, wird er plötzlich aufgrund seiner gefärbten Haare angefeindet. Anstatt ihm zu helfen, verhören ihn die Beamten auf einmal zu seinem Privatleben, beleidigen ihn homophob. Ehe Nico versteht, was passiert, liegt er nach einem Schlag in den Magen am Boden.
"Alles in Ordnung?", fragt ihn die Polizistin am Empfang. Erleichtert stellt Nico fest, dass er scheinbar nur von dem weißen Pulver in seiner Hosentasche halluziniert hat und gibt schnell die Anzeige auf. Zeitgleich hält sich Kolja 2600 Kilometer entfernt noch immer vor Schmerzen die Hand an den Bauch, in einem Militärtransporter auf dem Weg an die Ukrainische Front.

Inspiriert von einem realen Fall aus Russland, möchte ich mit "Um Haaresbreite" aufzeigen, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten zwischen Deutschland und Russland wirklich sind: Des einen schlechter Trip ist des anderen Alltag. In seiner Halluzination erlebt Nico exakt das, was einem jungen Mann in Russland wirklich passiert ist.

Ich selbst bin in Russland geboren und in Deutschland aufgewachsen, habe allerdings im immer wieder mehrere Monate in Russland gelebt. Ich habe also den Alltag in beiden Ländern gut kennenlernen können. Viele in meinem deutschen Umfeld wissen, dass die russische Polizei von Putin instrumentalisiert wird und Polizeigewalt an der Tagesordnung ist. Doch nur wenige verstehen, wie grundlegend anders das Verhältnis der Bürger zur Polizei in Russland wirklich ist - und das nicht erst seit Beginn des Krieges.
In Deutschland wenden sich die meisten Menschen in Notlagen an die Polizei und erhalten Hilfe. In Russland hingegen wird Kindern teilweise beigebracht, die Polizei zu ihrer eigenen Sicherheit zu meiden. In Deutschland laufen wir mit einer grundlegenden Unbeschwertheit durch die Straßen, die in Russland einfach nicht gegeben ist. Natürlich ist nicht jeder Polizist auf russischen Straßen gewalttätig. Aber dadurch, dass es ein in sich korruptes System ist, kann sich die Polizei diese Willkür in ihrem Handeln meistens konsequenzlos erlauben. Wen es wann und weswegen trifft, ist nie zu erahnen, was zu einer grundlegenden Angst in der Bevölkerung führt.
Als ein junger Mann mit blau-gelben Haaren in Russland einen Handydiebstahl anzeigen wollte, wurde er homophob beleidigt, zusammengeschlagen und an Ort und Stelle in die Armee eingezogen, um an der Russland-Ukraine-Front zu kämpfen. Solche Vorfälle sind in Russland keine Seltenheit, in oppositionellen Medien lese ich regelmäßig von ihnen. In "Um Haaresbreite" stelle ich die Frage: Wie würde ein Deutscher reagieren, wenn ihm dasselbe widerfährt? Natürlich wäre das hier völlig absurd, ein schlechter Trip eben. Und gleichzeitig ist es Alltag in Russland. Somit richtet sich "Um Haaresbreite" an alle, die sich schon mal gefragt haben, wie sie selbst in so einer Situation reagieren würden.

Ich schreibe und drehe schon seit einigen Jahren gemeinsam mit meinem Team ganz unterschiedliche filmische Projekte. Noch nie war aber ein Projekt so nah an mir dran wie dieses. Mein Cousin, ehemaliger Schauspieler aus Moskau, ist letztes Jahr im letzten Moment aus Russland geflohen, um bei Putins Teilmobilisierung nicht in die Armee eingezogen zu werden. Er wird für diesen Film die Rolle des Kolja spielen.

Dafür verwenden wir eure Spenden

"Um Haaresbreite" ist ein unkommerzieller No-Budget Film und wird komplett von einem Team junger Studierender aus ganz Deutschland umgesetzt. Auch wenn wir alle aus reiner Leidenschaft zum Film dabei sind, ist ein Filmdreh leider sehr kostenintensiv. Das Geld, das wir aus dieser Kampagne erhalten, fließt postwendend direkt in die Produktion des Films. Unter anderem leihen wir uns die nötige Technik, bezahlen Requisiten und sorgen dafür, dass einmal am Tag etwas Warmes auf dem Team-Tisch landet. Eine Gage erhält niemand, weder Crew noch Cast.