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Wir wollen nachhaltige, saubere & unterhaltsame Toiletten. Für Alle. Seit 2 Jahren sind wir jeden Sommer mit unseren Goldeimern auf Festivaltour durch Deutschland. Unser Konzept erfreut sich seitdem wachsender Beliebheit. Unsere Goldeimer benötigen weder Wasser, Chemie oder Strom. Stattdessen kompostieren wir, schließen Kreisläufe & haben dabei auch noch eine Menge Spaß. Nun soll unser Social Business wachsen & weitere Komposttoiletten sowie die dahinterstehende Logistik finanziert werden.
Datenschutzhinweis
Finanzierungszeitraum
14.11.14 - 16.12.14
Realisierungszeitraum
ab März 2015
Website & Social Media
Mindestbetrag (Startlevel): €
10.000 €
Stadt
Kiel
Kategorie
Technologie
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04.12.2014

Wie kam es zu Goldeimer?

Malte Schremmer
Malte Schremmer9 min Lesezeit

Wie eine Projektreise nach Burkina Faso zu Komposttoiletten auf Open Air Veranstaltungen führte. Ein Abriss in vier Teilen.

Teil 1: Ein Klo im Nordwesten Ghanas, mein persönliches Waterloo

Leichter Durchfall plagt mich bereits seit Tagen. Mein Stuhlgang ist zwar konsistent, aber weit entfernt von dem, was man als einwandfrei oder unbedenklich einstufen würde. Ich bin im Nordwesten Ghanas, drei Autostunden von der Grenze zu Burkina Faso entfernt. Ein Bekannter beschreibt die uns bevorstehende Strecke als Autoscooter mit Geländeprofil. Pausen werden nur selten gemacht, und wenn, dann kurz. Keine guten Voraussetzungen für einen Heimscheißer wie mich. Ich bekomme präventive Panik. Panik vor Durchfall während der Fahrt. Nicht ganz präventiv, sondern schwer akut muss ich urplötzlich, noch während wir auf den Bus warten, das stille Örtchen aufsuchen.
Es ist nicht ganz einfach, an einer Bushaltestelle eines kleinen Grenzdorfs morgens um sechs eine Toilette zu finden. Zumindest keine Heimscheißerstandardtoilette. Da war zwar ein Toilettenhäuschen für mehrere Personen, jaja, auch gleich neben der Bushaltestelle. Zu mehr als einem Inspektionsgang konnte ich mich nach dem ersten Betreten jedoch nicht durchringen: keine Türen! Keine Luft! Dafür haufenweise Scheiße! – an der Wand, auf dem Boden und neben dem Loch der Latrine. Die Heimscheißerhölle. Ich floh wieder raus, suchte weitere zwei Stunden (solange warteten wir glücklicherweise schon auf den Bus) nach einer Alternative, wurde aber nicht fündig. Schweren Herzens drückte ich dem Toilettenmann (was genau war eigentlich seine Aufgabe?) erneut ein paar Münzen in die Hand (die einzigen Toilettengebühren seit Sanifair auf deutschen Autobahnen!) und tat das, was getan werden musste. Nase zu – nein! eigentlich alle Sinne zu! - und durch! Keine 10 cm trennten mich von fremder Kackbrühe und Keimen, die hier, bei brühend heißen Temperaturen und besten Lebensbedingungen sicherlich ihren Garten Eden gefunden hatten. Des einen Freud, des anderen Leid. Shit happens. Eine Armada weißer Maden kam mittlerweile aus dem Fallloch gekrochen, hatte sich um meine Schuhsohle versammelt und demonstrierte mir auf eindrucksvolle Weise, wer in diesem Biotop die Hosen anhat. Ich sicherlich nicht, stellte auf Heimscheißerautopilot und suchte so schnell es ging das Weite. Zurück an der Bushaltestelle trank ich erst einmal einen Schluck selbstgebrannten Schnaps und atmete tief durch. Nun konnte der Bus kommen. Die schlimmste Toilette der Welt hatte ich hinter mir.

In Accra stehe ich in schulterhohen, öffentlichen Urinalen am Straßenrand und die Leute winken mir über die Mauer freudig zu und ich winke freudig zurück. Hinter dem Busbahnhof in Kumasi befindet sich ein großes, abgestandenes Feld, wo Menschen ihr Geschäft in aller Öffentlichkeit verrichten und andere gleichzeitig sich und ihre Wäsche waschen. Öffentliche Latrinen sind aufgrund des Gestanks und der Menge an Kot nicht immer betretbar, sondern vielmehr ein Ort, an denen sich Infektionsherde verbreiten und Menschen erkranken. Kinder defäkieren direkt in Pappkartons und schmeißen diese anschließend in daneben stehende Baucontainer. Während längerer Busfahrten müssen Frauen während der Pausen direkt neben den Bus urinieren, beobachtet von allen anderen Mitfahrern. In vielen Teilen Accras ist die Kanalisation oberirdisch. In den Nachrichten wird wieder von steigenden Cholera-Erkrankungen berichtet.

Teil 2: Knock-Out in Ougadogou

Der Durchfall wurde schlimmer. Zwei Wochen nach meinem persönlichen Waterloo in Ghana saß ich nun nachts um vier Uhr auf der Toilette unserer Unterkunft, mittlerweile das vierzehnte Mal in wenigen Stunden. Mein Magen arbeitete schnell, erschreckend schnell. Zu schnell. Fast so schnell wie der Weltrekordhalter im Race Walking, Denis Nischegorodow aus der Föderationsrepublik Tschuwaschien. Mit mindestens 3,78 m/s rauschte alles, was ich aß oder trank durch sämtliche Darmtrakte. Persönliche Bestzeit, immerhin! Mein Körper wurde zu einer Rutsche – oben rein, unten raus. Ich verlor innerhalb kürzester Zeit alle Feststoffe und sämtliche Flüssigkeiten, sodass ich mich morgens völlig entkräftet kaum mehr bewegen konnte und drei bis vier kg in kürzester Zeit abgenommen hatte. Der Durchfall hatte alle wichtigen Nährstoffe ausgespült und mein Immunsystem war nicht in der Lage, überhaupt noch irgendetwas aufzunehmen. Nichtmal einen Schluck Wasser. Eine Wurmerkrankung hatte mich völlig außer Gefecht gesetzt. Stundenlang lag ich einfach nur so da, vegetierte vor mich hin und folgte meinem unruhigen Schlaf.

Teil 3: Das WASH-Projekt und die Projektreise in Burkina Faso

Ich entschloss mich, die Reise vorzeitig abzubrechen und flog vier Tage vor dem geplanten Termin nach Hause. Vier Wochen bin ich mit Freunden und Viva-con-Agua-Aktiven durch Ghana und Burkina Faso gereist. Eine Woche davon zusammen mit der Welthungerhilfe und deren lokaler Partnerorganisation ORGANIC. Wir hatten die Möglichkeit, eines der Projektgebiete von Viva con Agua einmal selbst zu besuchen. Es handelt sich hierbei um sogenannte WASH-Projekte im Hauts-Bassin, dem Südwesten Burkina Fasos. WASH bedeutet Water, Sanitation and Hygiene. Drei Anker im Gesundheitswesen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Weltweit haben 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sanitären Anlagen. Nicht einmal zu solchen, wie ich sie vorab beschrieben habe. Von einem würdigen Rückzugsraum beim Defäkieren und Urinieren können viele Menschen derzeit nur träumen.

Natürlich gibt es auch sehr schöne, gegensätzliche Beispiele. So hat ausnahmslos jede Latrine in Burkina Faso eine Kanne voll Wasser zum Händewaschen neben der Tür stehen und eine Vielzahl an Toilettenhäuschen ist sauberer und hygienischer als jede Raststellentoilette, die ich in Europa schon zu Gesicht bekommen habe. Nichtsdestotrotz habe ich diese Erfahrungen und Beobachtungen gemacht und möchte davon berichten. Ganz bewusst aus meiner persönlichen Perspektive, die ganz sicher nicht neutral ist – weder in die eine, noch die andere Richtung. Was auch immer das bedeuten mag. Auch widmet sich dieser Bericht ausschließlich sanitären Aspekten, keinen kulturellen, sozialen, politischen oder wirtschaftlichen.

Fakt ist: Jeden Tag sterben weltweit 4000 Kinder an den Folgen von Durchfall und Wurmerkrankungen. Infektionen, die unnötig und durch einen sehr geringen Aufwand vermeidbar sind. Durch das starke Bevölkerungswachstum ist die Aufbereitung von Fäkalien zu einer zentralen Herausforderung in Westafrika geworden. Keime vermehren sich durch das warme Klima rapide und werden über tierische und menschliche Ausscheidungen, Nahrungsmittel, Flüsse und Abwasser sehr schnell verbreitet.

Das WASH-Konzept soll dieser Entwicklung entgegenwirken und durch Sensibilisierungsmaßnahmen, sowie den Bau von Latrinen und Handwaschbecken in Schulen, öffentlichen und privaten Räumen das Bewusstsein schärfen, um die Lebenssituation der betroffenen Menschen zu verbessern. Fehlender WASH-Zugang führt zu hohen Kindersterblichkeitsraten, Bildungschancen werden vermindert und die Ernährungssicherheit wird gefährdet. Zusätzlich schmälern krankheitsbedingte Ausfallzeiten im Job das Einkommen der Familien.

In den sieben Tagen mit der Welthungerhilfe haben wir eine Vielzahl an Eindrücken und Erkenntnissen sammeln können. Uns wurde erklärt, wie die Arbeit in den Gemeinden abläuft, wie, warum und von wem Latrinen und Handwaschbecken gebaut werden. Welche Funktion hat der jeweilige Bürgermeister und wie sieht der Unterricht in ländlichen Schulen aus? Was bedeutet strukturelle Förderung, was bedeutet Eigeninitiative? Welchen Einfluss hat die Politik und warum kann es in einem eigentlich fruchtbarem Land zu Lebensmittelengpässen kommen?
Sieben Tage lang haben wir die Delegation in Bobo-Dioulasso und Ougadagou mit Fragen gelöchert und sehr viele ausführliche, detaillierte und wohlbedachte Antworten bekommen. Man merkt sehr schnell, dass lokales Know-How, die regionalen Sprachen, Traditionen und Verhaltensweisen von elementarer Wichtigkeit für den Erfolg des WASH-Projekts sind. Die lokale NGO ORGANIC, deren Mitarbeiter aus Burkina Faso und der Region Hauts-Bassin kommen, hinterlassen einen bleibenden, positiven Eindruck durch ihre Arbeit in den Gemeinden und Schulen.

Ein Fazit dieser Reise könnte lauten: Die Probleme und Systeme sind komplex und sieben Tage reichen garantiert nicht, um sich einen Überblick über die Zusammenhänge verschaffen zu können, von einer Bewertung ganz abgesehen. Sanitäre Fragen sind vor allem kulturelle Fragen – weshalb Geduld und Abwarten vermutlich wesentliche Erfolgsfaktoren bei allen WASH-Projekten sind, die Viva con Agua in Zusammenarbeit mit der Welthungerhilfe realisiert.

Teil 4: Sanitärversorgung in Deutschland & Komposttoiletten auf Festivals

Noch lange Zeit habe ich mir Gedanken gemacht über diese vierwöchige Reise durch eine fremde Welt. Am Ende blieb die Erkenntnis, dass es eine fremde Welt bleibt. So sehr ich etwas verändern möchte, so wenig habe ich doch in der Hand. In Gesprächen zu meiner Bachelor-Arbeit mit meinem Professor kam irgendwann die Frage auf: „Warum werden regelmäßig Probleme thematisiert, die 5000km von zu Hause entfernt auftreten? Warum beschäftigst du dich mit Komposttoiletten in Westafrika? Was weißt du eigentlich über diese Region? Kulturell, politisch, wirtschaftlich, historisch. Du weißt gar nichts. Wieso beschäftigst du dich nicht einmal mit der Sanitärversorgung in Deutschland? Hier kennst du dich aus, hier weißt du Bescheid. Und auch hier liegt einiges im Argen.“

So kam die Idee auf, sich mit dem Potential vom Komposttoiletten auf Open Air Veranstaltungen zu beschäftigen. Ein Zitat von Joseph Jenkins, dem Verfasser des „Humanure Handbook“, wird mir hierbei immer in Erinnerung bleiben:

„The world is divided into two categories of people: those who shit in drinking water and those who don't.“

Seit vielen Jahren schon organisiere ich Fundraising-Aktionen für Viva con Agua, um Spendengelder für Wasserprojekte zu sammeln. Wie oft hab ich an Infoständen, beim Pfandbechersammeln oder beim Trampen erzählt, wie wichtig sauberes Trinkwasser ist. Wie knapp unsere Süßwasserreserven sind.

Und doch jeden Tag in mein eigenes Trinkwasser geschissen.

Warum wir spülen, was damit anschließend passiert, was es für Auswirkungen hat? Mit diesen Fragen hatte ich mich trotz aller Offensichtlichkeit nie beschäftigt.

Im Rahmen meiner Bachelor-Arbeit habe ich mich näher mit mobilen Sanitärsystemen auf Open Air Veranstaltungen beschäftigt und über nachhaltige Alternativen nachgedacht. So entstand die Idee der Komposttoilette auf Festivals. Aus 2 Prototypen im Jahr 2013 sind bereits 20 im Jahr 2014 geworden.

Wir wollen im Kleinen Alternativen aufzeigen zu einem bestehendem System, dass an seine Grenzen stößt und mit Problemen umgehen muss, die es bei Einführung der Kanalisation und der Spültoilette in dem Ausmaß noch nicht gegeben hat: immer knapper werdende Ressourcen. Wasser, Phosphor und fruchtbarer Humus beispielsweise. Die Verunreinigung der Luft durch Verbrennung von getrocknetem Klärschlamm. Der Eintrag in die Landwirtschaft von Schwermetallen durch kompostierten Klärschlamm. Immer komplexere Klärstufen zur Filterung von Medikamenten und Hormonen aus dem Abwasser. Die Probleme und Herausforderungen hier in Deutschland sind anders als in Ländern des geographischen Südens, aber nicht weniger vielfältig und groß.

Auf Festivals haben wir die Möglichkeit, geschlossene Kreislaufsysteme im Kleinen aufzubauen und zu testen. Darüberhinaus erreichen wir eine breite Masse, denen wir die Problematik zum bestmöglichen Zeitpunkt näherbringen können: Genau dann, wenn sie eine Toilette selbst am dringendsten benötigen.

Impressum
Goldeimer GmbH
Malte Schremmer
Neuer Kamp 32
20357 Hamburg Deutschland

Goldeimer GmbH, HRB 132349, Amtsgericht Hamburg
Geschäftsführung: Malte Schremmer, Markus Bier
www.goldeimer.de

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