Leseprobe aus My lovely Shame
Hallo liebe Leserinnen und Leser,
ich wurde gebeten, ein paar Textproben aus dem Buch online zu stellen- und hier sind jetzt Auszüge aus dem ersten und dem zweiten Kapitel.
Schreibt mir gerne, wie Ihr die Geschichten findet, ob sie neugierig machen. Euch verwundern. Anders sind als erwartet.
Herzlichst
Kathrin/ Katinka
1. Kapitel
Berlin, Februar 2019
Deine größte Gabe
Wie eine Sackgasse fühlte sich mein Leben vor zweieinhalb Jahren an.
Wie eine dicke, fette Fälschung. Nichts von all dem, was ich mir beruflich erhofft hatte, war in Erfüllung gegangen. Die Erfolge, die ich verbuchen konnte- und das waren nicht wenige- schmeckten schal und eben einfach nicht wie das, was ich mir mehr als alles auf der Welt gewünscht hatte.
Egal, wie sehr ich mich abgestrampelt hatte in den letzten Jahren- und was war ich gerannt, hatte gekämpft, mich verkrampft und verbogen- mein Ziel war doch in immer weitere Ferne gerückt. Wie eine Festung, die immer wieder im Nebel verschwindet- jeder Weg dorthin ein Labyrinth voller Sackgassen.
Eine meiner liebsten Beschäftigungen ist das Selbstmitleid immer schon gewesen. Und so frönte ich ihr auch an diesem diesigen Tag, an dem ich meinen guten Freund Roland in einem Berliner Café treffe.
****
Roland hört mir eine Weile zu, wie ich mich beschwere und beklage, dann lehnt er sich vor und schaut mich sehr direkt über seiner dampfenden Schokolade an.
„Weißt Du, was Deine größte Gabe ist, Kathrin?“ fragt er mich.
„Nein?“ entgegne ich.
„Deine größte Gabe ist Deine Scham.“
Etwas in mir zieht sich zusammen, wird eng und klein.
„Wie bitte?“
„Deine Scham. Darin bist Du echt gut. Darüber kannst Du Geschichten erzählen,“ fügt er hinzu.
Meine Scham?
Ich bin so überrascht, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann.
Scham?
Scham ist meine schlimmste Feindin. So viele Jahre habe ich sie gehasst.
Meine Scham ist Schuld daran, dass sich so viele Türen für mich nicht geöffnet haben.
So viele Wünsche nicht in Erfüllung gegangen sind.
Scham ist Deine größte Gabe.
Roland trinkt den letzten Rest seiner heißen Schokolade. Wenn er jetzt alleine wäre, würde er vermutlich die Tasse ausschlecken. Er ist verrückt nach Süßigkeiten und schämt sich sehr dafür. Wegen Schocklade musste er sogar einmal eingeliefert werden. Aber das ist eine andere Geschichte.
„Die meisten Leute haben ein Riesenproblem mit ihrer Scham. Für sie ist ihre Scham so unerträglich, dass sie noch nicht einmal einen Blick darauf werfen. Mit Deinen Geschichten kannst Du ihnen helfen.“
*****
Meine Scham sollte für irgendetwas gut sein?
Kann das sein?
Meine Scham- der Grund für so viele Misserfolge, so viel Kummer und Komplexe.
Meine Scham über meine Herkunft, meine Erziehung, meine Sexualität.
Darüber nicht besser, dünner, erfolgreicher, glücklicher zu sein.
Über meinen Vater, den Bankrotteur, meine Mutter, die schlimmste Grenzüberschreiterin der Welt.
Über meinen verschwenderischen Umgang mit Geld, mein fehlendes Selbstbewusstsein.
Und die Tatsache, dass ich mich nie so zeige, wie ich wirkliche bin, aus lauter Angst, daß mich dann niemand lieben könnte.
*****
Die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens bin ich Filmemacherin gewesen.
Als Studentin hatte ich mir dieses Leben völlig anders vorgestellt: voller Leidenschaft und faszinierender Begegnungen. Die Wirklichkeit sah anders aus. Es war harte Arbeit, extremer Druck, Filme waren eine Ware, wie Keramik oder Autos, die nach einem bestimmten Herstellungsplan abgefertigt wurden.
Die Filme, die ich angeboten bekam, waren stark vereinfachte und stereotype Abbildungen einer Welt, die ich nicht kannte: Hausfrauen, Anwältinnen, Dreiecksbeziehungen. Mein Leben war ganz anders- voll ambivalenter und intensiver Begegnungen. Am liebsten hätte ich 100 Leben gleichzeitig gelebt, eine Million Fragen schwirrten in meinem Kopf herum- vor allem die Frage nach einem erfüllten glücklichen Leben. Dafür brannte ich, das wollte ich in meinen Filmen erzählen.
Aber: ich war eine nette, höfliche junge Frau. Am Anfang meiner Karriere war ich für jede Chance einen Film zu drehen, dankbar. Ich arbeitete super hart, um zu beweisen, was für eine talentierte Filmemacherin ich war. Eine, die sich auch nicht beschwerte über die mittelmäßigen Drehbücher.
Eine, die nett lächelte und die Fehler anderer ausbügelte.
Eine, die eher sich selbst die Schuld gab, als andere zu mobben.
Eine, die extra hart arbeitete, auch an den Wochenenden- sogar umsonst- um den Job zu bekommen.
Und die ganze Zeit hoffte ich, dass ich dafür belohnt werden würde. Irgendwann bald würden bessere Gelegenheiten kommen, interessantere Projekte.
Ich würde entdeckt werden von einem wichtigen Produzenten, wenn ich nur die nette, unkomplizierte- und vor allem hübsche- junge Frau bliebe.
Nur- dass das eben nicht den Netten passiert.
Nicht in der Filmbranche.
Und auch sonst nirgendwo- vermutlich.
So verlor ich allmählich die wilde, ehrgeizige Kathrin, die sich ständig in Menschen verliebte, in Gesichter, in Geschichten- ins Leben. Ich erinnere mich noch, wie es sich anfühlte in den 90ern, die breiten Berliner Straßen entlang zu schlendern und Menschen aus dem Osten und Menschen aus dem Westen zu beobachten. Wir alle schauten Berlin dabei zu, wie es wuchs und sich veränderte- in einem irrwitzigen Tempo.
Jeden Morgen, wenn ich meine Wohnung am Kleistpark verließ, hatten sich die Orte und Plätze über Nacht verändert. Neue Gebäude, Gerüste und Strassenführungen waren vom Himmel gefallen. Egal wohin ich kam, Wege waren versperrt, riesige Dampfwalzen und Kräne und LKWs voll dampfendem Teer versperrten den Weg.
Das machte etwas mit dem Verhalten der Menschen. Die Berliner in den 90ern waren irgendwie ausgeflippter, mutiger und seltsamer.
Ich verliebte mich in so ziemlich alle Menschen, denen ich auf den Straßen begegnete- Männer wie Frauen. Junge, schöne, gebrechliche, freche, südländische, geheimnisvolle. Ihre Gesichter, ihre Art zu gehen, zu reden, ihren Kaffee zu bestellen, im Pyjama zum Bäcker zu laufen, um „Schrippen“ zu kaufen. Die Art, wie sie nachts grölend und singend nach Hause stolperten- überhaupt diese langen Nächte, in denen kein Platz für Eitelkeiten war, in denen sich niemand Sorgen um Augenringe oder Krähenfüße machte. (Zumindest nicht in den 90-ern.) Wie sich die Berliner nachts anschrien, Beziehungen beendeten, wieder zusammen kamen- in den dunklen, dreckigen Hinterhöfen von Berlin.
All das faszinierte mich. War es wert, eine Geschichte darüber zu erzählen.
Das wollte ich einfangen in meinen Filmen.
17 Jahre später fühle ich mich gefangen in einem Job, in dem Filme am Fließband erstellt werden. In einer Welt, in der Gefühle und Empfindsamkeit, Zögern und Hinterfragen ein No-Go sind. Und in der ich Geschichten erzählen soll über Frauen in ihren 40ern, deren größter Wunsch es ist, geheiratet zu werden.
*****
Ich sitze noch lange in diesem Café, nachdem Roland schon gegangen ist. Ab und zu merke ich an den Sonnenstrahlen, die über die Wände flackern, wieviel Zeit schon vergangen ist. Mehrmals kommt die Kellnerin und fragt, ob es noch etwas sein dürfe. Aus Höflichkeit bestelle ich weitere Milchkaffees, die nebeneinander kalt werden. Denn eigentlich bin ich mit etwas ganz anderem beschäftigt. Ich halte den Zipfel des Teppichs in der Hand, unter den ich für gewöhnlich alles gekehrt habe, was mir unangenehm und peinlich ist. Und da gibt es so vieles, ich spüre, wie es unter dem Teppich lebendig wird, wie kleine, unheimliche Erinnerungen wie Monsterkreaturen hervor lugen und heraus krabbeln wollen.
Will ich das wirklich?
Packe ich das?
Was, wenn es mich in den Abgrund zieht?
Wenn ich mich nie mehr davon erhole?
Die Zellen meines Körpers sind in Aufruhr, sie flirren und flattern umher wie Tausende Schmetterlinge. Wie der Beginn einer Liebesaffäre fühlt es sich an. Aber auch, als stünde ich auf einem riesigen Wolkenkratzer, die Stadt zu meinen Füßen ausgebreitet und eine Stimme flüstert in mein Ohr:
Spring.
Jetzt spring doch.
Im Bruchteil einer Sekunde hat Roland die eine Sache erwischt, die ich am meisten an mir hasse- meine Scham- hat sie auf den Kopf gestellt und mich dazu gebracht, mich in sie verlieben zu wollen.
Meine liebliche Scham.
Mit klopfendem Herzen und einer unbegreiflichen Angst im Nacken lächle ich vor mich hin und mache mich zur kompletten Idiotin.
Ich fühle es.
Etwas wird passieren.
(…….)
2. Kapitel
Aachen 1993
Ich war jung und brauchte das Geld…
Schon als ich aufwache, fühlt sich alles unwirklich an. Im Halbdämmer wehre ich mich noch eine Weile gegen das Aufwachen. Irgendwas steht heute an, was ich lieber noch wegschieben möchte aus meinem süßen Halbschlaf. Ich lasse mich zurück in den Schlaf sinken, aber da ist diese Ziehen in meiner Brust, als wollte mein Herz in ein Mauseloch verschwinden. Ich grabe mich tiefer in meine Daunendecke ein.
„Heute ist der Tag, an dem du heiraten wirst!“
Meine Augen, springen auf, ach ja, das war’s. Ich bin hellwach. Noch nicht einmal der Wecker hat geklingelt. An der Decke flackern unruhig die Sonnenstrahlen, die vom gegenüberliegenden Haus in meine Studentenwohnung geworfen werden. Ich versuche, mir gut zuzureden. Ja, stimmt, Kathrin, der Satz hört sich komisch an. Aber vergiss nicht, es gibt gute Gründe dafür. Sehr gute sogar.
Ich richte mich im Bett auf und gähne. Liegen bleiben will ich jetzt nicht mehr, besser, ich tue jetzt etwas, um dieses Unwirklichkeit zu verscheuchen. Wie Watte hat mich dieses Gefühl eingewickelt, als wäre ich in einen Film geraten und schaue mir selber dabei zu.
Ich schaue mich in meiner Studentenbude um, fast so, als wäre es das letzte Mal, dass ich hier aufwache. Ich liebe den dreieckig geschnittenen Raum, die großen Fenster, die zum dreieckigen Platz hinaus gehen. Ich betrachte das schmale Bett, dass mich seit meiner Kindheit in meinen Nächten begleitet. Sieht so das Bett einer Braut aus? Alles gut, Kathrin, Du weißt, warum Du das machst. Und ich stehe endgültig auf, um mir einen Kaffee zu brühen.
Heute ist der Tag, an dem ich heiraten werde.
Ich schaue auf meinen Wecker von Braun. Der Alarm ist noch nicht losgegangen. Mehr als zwei Stunden habe ich noch, um mich zurecht zu machen und den Bus zu nehmen. Während ich meine erste Zigarette am Küchenfenster rauche, bin ich überrascht, wie ruhig ich bin. Richtiggehend cool komme ich mir vor. Zum ersten Mal in meinem Leben. Cool, das war an der Schule immer die schwierigste Übung für mich. Ich sitze am Küchenfenster, ziehe an meiner Kippe und beobachte das Treiben der Menschen früh am Morgen auf dem dreieckigen Platz vor meiner Haustür.
Mir fällt ein, dass ich noch gar nicht darüber nachgedacht habe, was ich anziehen werde. Ich möchte ja gut aussehen, wie eine echte Braut eben. Schöne Kleider besitze ich nicht, dafür hatte ich einfach nie Geld als Studentin, die chronisch pleite ist. Aber es ist ja nur das Standesamt, keine katholische Hochzeit. Und das lässt mich direkt an meine Mutter denken, und was sie zu diesem ganzen Unterfangen sagen würde. Und das macht es nicht einfacher- ganz im Gegenteil. Aber: Gott sei Dank- sie weiß nichts davon. Und sie darf es auch niemals erfahren.
Den Gedanken an das gebrochene Herz meiner Mutter schiebe ich beiseite, ebenso wie all die unbehaglichen Gedanken, die plötzlich aufpoppen. Husch, husch- weg damit. Hinter einen riesigen Berg wollweicher Watte, der häufiger durch meine Gedanken geistert.
*******
Ich bin erst 23 Jahre alt. Mehr als genug Zeit für eine richtige Liebe, für eine echte Hochzeit.
Und falls Du, liebe Leserin, Dich wunderst, was zur Hölle ich da mache, dann kann ich Dir Folgendes sagen:
Ich habe so viele Träume in meinem Kopf.
Es gibt so viele Dinge, vor denen ich davon laufen will.
Und diese Hochzeit wird mir dabei helfen.
Ich sehe, dass Du die Stirn runzelst und den Kopf schüttelst und überzeugt bist, dass ich dabei bin, den schlimmsten Fehler meines Lebens zu machen.
Aber lass Dir gesagt sein, Herr oder Frau Dingsbums, ich weiß ganz genau, was ich da gerade mache. Ich bin nicht zu jung oder zu unschuldig. Ich werde heiraten, um an Geld zu kommen.
Aber nicht, was Du denkst.
Der Bräutigam ist kein reicher, alter Mistkerl. Nein, er ist ein recht netter Mann aus einem Krisengebiet, wohin er zurückgeschickt wird, wenn ich ihn nicht heirate. Und falls das passiert, wird er dort sein Leben verlieren. Zumindest ist das sehr wahrscheinlich.
Deshalb haben wir dieses Arrangement vereinbart.
Für mich ist es perfekt. Denn dann habe ich genug Geld, um hier abzuhauen, aus dieser viel zu engen Stadt, weit weg von meinen Eltern, von diesem Studium, das mich sonst noch lebendig begraben wird.
Versteh mich nicht falsch.
Ich liebe Bücher über alles. Aber ich muss selbst kreieren- sonst sterbe ich.
Ich will etwas erschaffen- ich weiß noch nicht genau was- aber es muss mit meinen Händen sein, mit meinen Gedanken, meiner Seele. Sonst sterbe ich noch an Langeweile, an Leere im Kopf, an der Monotonie und Enge meines Lebens.
Ich sehe, Du schüttelst immer noch den Kopf.
Aber ich weiß, was ich weiß.
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Meine Wahl fällt auf meine schwarze Satinhose, die die türkische Schneiderin an der Ecke für mich genäht hat. Sie hat einen Schlag und ich fühle mich darin immer so spektakulär kosmopolitisch. Obenrum entscheide ich mich für ein kurzes, blassrosa Jackett und riesige, falsche Perlenohrringe. Fertig ist der Jacky-Onassis-Stil für abgebrannte Studentinnen.
Der Spiegel zeigt mir, dass ich hübsch bin wie eine Puppe.
Zumindest sagen mir das die Leute immer. Mit meiner blassen Haut und den dunklen Haaren sähe ich aus wie eine Puppe.
Das gefällt mir.
Ich bin gerne hübsch.
Das ist meine Uniform, meine Rüstung, hinter der ich mich gut verstecken kann.
Einen Augenblick denke ich an meine Freundin Andrea und ihre grüne Samtjacke mit den orientalischen Blumen darauf. Die wäre noch passender zu diesem Anlass gewesen. Ich wette, Andrea hätte sie mir bestimmt geliehen, sogar jetzt noch. Aber nein- wir sind keine besten Freundinnen mehr. Die Zeiten sind vorbei.
Im Vorbeigehen blicke ich an der Wohnungstür noch einmal in den Spiegel. Dieses verdächtige Glitzern in meinen Augen: ich habe sie wie verrückt geliebt. Meine beste Freundin Andrea. Ich mochte niemanden auf der ganzen Welt lieber als sie. Aber: das ist Schnee von gestern.
Diese Erinnerung packe ich ebenfalls in meine Watte-Wolken, da wo sie nicht weh tun, wo ich sie fast vergessen habe. Ups. Es ist jetzt wirklich Zeit zu gehen, wenn ich nicht zu spät kommen will. Und das will ich natürlich nicht. Obwohl…
Ich schnappe mir einen Apfel für den Bus, trage noch ein bisschen Mascara auf und sprinte los. Über den dreieckigen Platz, in die schmale Straße mit all den Geschäften aus aller Welt: Pakistan und Indien und Türkei. Ich komme an der Straße vorbei, in der Andrea jetzt lebt.
Erst vor kurzem ist sie in meine Nähe gezogen, nachdem sie ihren Freund verlassen hatte. Wir wussten gleich, dass wir kurze Wege zwischen unseren Wohnungen haben wollten für all die verrückten Sachen, die wir so gerne zusammen machten. Gutaussehenden Männern durch die Stadt folgen. Im Park einen Schwips antrinken. Für die Uni lernen und bizarre Hausarbeiten zusammenschreiben. Wir haben sogar mal ein Referat gemeinsam gehalten, in dem es um Essen, Reden und Küssen ging. Und unsere These war, dass alle drei Dinge im Grunde dasselbe sind.
Als gelungenen Einstieg für unser Referat haben wir als erstes Kuchen ausgepackt und weg gemampft. Ich erinnere mich noch an das angestrengte Gesicht unseres Professors.
(…..)