Vom Stillen Örtchen und anderen Behinderungen
Geschichten die das Leben schreibt, sind einfach die besten. Hier ist so ein Moment, die ich vor einigen Jahren mit Paul erlebt habe. :) Bisher hat dieser Artikel den Weg in die Öffentlichkeit noch nicht gefunden, aber jetzt wird es Zeit! Hier also meine Kurzgeschichte...und ja...es hat sich so zugetragen!
Vom stillen Örtchen und anderen Behinderungen
Wer wie ich einen kleinen Jungen mit Trisomie21 in der Öffentlichkeit begleitet, der verändert seine Sicht auf das Leben sehr drastisch. Jeden Tag begegnen einem neue Menschen und Meinungen. Und da ich den nötigen, inneren Abstand (meist) habe, kann ich über einiges nur den Kopf schütteln, aber über anderes auch beherzt lachen.
Neulich waren Paul und ich im Schwimmbad. Das macht er sehr gerne. Schwimmen. Er wird auch richtig gut, jedes Mal entdeckt er neue Dinge, die er mit seinem Schwimmgürtel um den Bauch anstellen kann – z.B. wenn man paddelt wie ein Hund, geht man trotz Gürtel fast unter, aber wenn man ruhig stehen bleibt, dann treibt man wieder hoch. Ein Spiel, das er stundenlang betreiben kann.
Und dann ergibt sich ein Problem, wenn man Wasser um sich hat, schwimmt, und es lange dauert, dann muss man mal zur Toilette. Jetzt kann ich den kleinen Mann ja schlecht auf die Herrentoilette begleiten, die „normalen“ Herren schauen so seltsam, wenn man als Frau selbstbewusst mit dem Kerl an der Hand zur Toilette stürmt und behauptet, man hat was wichtiges zu erledigen. Allein geht noch nicht. Jetzt ist Paul schon recht groß, d.h. mitnehmen auf die Damentoilette ist auch nicht mehr, zumal Paul von selbst davor bremst, auf das Schild zeigt und deutlich zu verstehen gibt:“ Paul Junge!“
Aber für solche Fälle gibt es ja eine sogenannte „Behindertentoilette“ . An diesem Ort ist Waffenstillstand im Geschlechterkampf. Das Geschlecht wird durch die Behinderung negiert, denn bei Toiletten unterscheidet man lediglich zwischen drei Kategorien „Mann“ „Frau“ und „Behindert“.
Auf das “ Örtchen für Geschlechterlose“ zugesteuert, Schwimmgürtel ab und den jungen Mann sein Geschäft verrichten lassen. Jetzt hätte sich Erleichterung breit machen können – hätte…… wäre da nicht eine engagierte Dame gewesen, die sich für die Rechte der Behinderten einsetzte. Lautstark weißt sie mich auf das Schild hin: „Ihr Kind darf da gar nicht auf dieses Klo, das ist nur für BEHINDERTE.“
„Danke, das sind wir!“ rufe ich lautstark zurück und lächle beschwichtigend – WIR meine ich auch so, schließlich sind wir behindert durch unser Geschlecht. Aber das war nicht der Satz, den die Dame erwartet hatte. Offensichtlich habe ich gerade den Knopf gefunden, der ihren Motor startet. Eigentlich finde ich es rührend, wie sie die Rechte und Orte der Behinderten verteidigt. Wo in der Öffentlichkeit traut sich schon jemand, einfach mal beherzt für andere einzustehen. Großartig! Nur jetzt steuerte sie auf mich zu, deutete auf das Schild und wiederholte:“ BE-HIN-DER-TE!“ Böse Blicke anderen Badegäste trafen mich.. Ich versuchte die Gemüter der Umstehenden etwas zu beruhigen „ Im Ernst, wir sind behindert. Ich kann den Jungen nicht allein zur Toilette schicken und für die Damentoilette ist er zu groß“ Unverständliches Kopfschütteln der Beschützerin und Badegäste. Ich setzte grinsend nach: “ Oder reicht ein Down Syndrom für eine Behindertentoilette nicht.“ Die Blicke fliegen von mir zu Paul und zurück. Ich würde sagen: Schachmatt. Der Zug war nicht ganz fair von mir, wie konnte ich diese tapfere Kämpferin so vorführen? Aber irgendwie musste ich ja diese kleine Versammlung auflösen um noch mehr Aufsehen zu verhindern.
Jetzt tut mir die gute schon wieder sehr leid. Sie wird rot, stammelt etwas von Entschuldigung, sie habe das ja nicht gewusst. Also, das könnte man ja auch gar nicht so sehen. Ich beschließe sie zu erlösen:“ alles in Ordnung. Nett dass sie sich so einsetzten. Und dass man es nicht sieht, das nehmen wir mal als Kompliment.“ Ich lächle sie beruhigend an und beschließe dies Sache als erledigt zu betrachten. Paul bekommt seinen Schwimmgürtel in die Hand gedrückt, er kann sich den ja schon mal wieder umschnallen. Jetzt muss ich nämlich zur Toilette. Allerdings für die Damen, sicher ist sicher.
Als ich vom Klo komme, steht Paul mit erhobenen Händen dort, wo ich ihn gebeten hatte zu warten. Vor ihm kniet unsere Kämpferin. Diesmal hat sie sich den Schwimmgürtel vorgeknöpft. Sie hat ihn Paul umgelegt und fingert am Verschluss. Dabei stammelt sie etwas von: „den bekommt man ja nicht zu, das gibt es wohl nicht.“ Pauls grinst mir zu, ich grinse zurück und nicke ihm zu. In aller Ruhe nimmt Paul ihr den Verschluss aus der Hand und schließt ihn. Er kann das. Ist ein Sicherheitsverschluss. Sicher ist sicher. Die Dame schaut verdutzt drein. Sie tut mir schon wieder leid. Sie konnte ja nicht ahnen, dass wir zu diese Art von Behinderten gehören.
Katja Rohland
(Bild pixabay zorro4)