Die Gezi-Proteste haben als Demonstrationen gegen die Abholzung des Gezi-Parks im Stadtzentrum Istanbuls angefangen. Schnell ging es aber um viel mehr. In verschiedenen Städten der Türkei sind hunderttausende für Demokratie und Bürgerrechte auf die Straße gegangen - und gegen eine Regierung die zunehmend autokratischer wurde.
Auch nach der Niederschlagung der Proteste blieb bei den Demonstranten das Gefühl, etwas großes geschaffen zu haben. Verschiedene politische und soziale Bewegungen sind aus den Protesten entstanden. Auch der Wahlerfolg der linken prokurdischen Partei HDP im Juni 2015 hatte viel mit dem “Spirit of Gezi” zu tun.
Etwas mehr als drei Jahre nach den Gezi-Protesten hat sich in der Türkei jedoch vieles verändert. Im Südosten des Landes tobt erneut ein Krieg des türkischen Staates gegen die PKK und die kurdische Zivilbevölkerung. Regierungskritische Wissenschaftler, Journalisten und Aktivisten werden reihenweise angeklagt und verhaftet.
In dieser Situation möchte ich für zehn Tage nach Istanbul fliegen und mich unter anderem mit Aktivisten, Journalisten, Wissenschaftlern und Politikern treffen, um herauszufinden, was vom Spirit of Gezi noch geblieben ist.
Durch die Gezi-Proteste sind viele Soziale Bewegungen und Projekte entstanden oder haben neuen Aufwind erfahren. Im Istanbuler Stadtteil Yeldeğirmeni haben Aktivisten 2013 ein lange leerstehendes Haus besetzt und zu einem sozialen Nachbarschaftszentrum gemacht. Nachdem die lokale Stadtteilverwaltung das Projekt unterstützt hatte, wurde das Haus bereits 2014 auf Geheiß der AKP-Stadtverwaltung geräumt. Ich will wissen: Was machen die Aktivisten heute? Haben sie resigniert, oder haben Sie neue Räume für ihre Ideen gefunden?
Während der Gezi-Proteste waren Gezi-Park und Taksim-Platz ein sicherer Ort für Frauen und LGBT. Wenige Wochen nach der Räumung des Gezi-Parks nahmen mehrere zehntausend Menschen an der Istanbuler Gay Pride Parade teil. In den letzten beiden Jahren wurden die Demonstrationen für LGBT-Rechte verboten und von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Ich will wissen: Wie gehen feministische Gruppen und LGBT-Organisationen mit Demonstrationsverboten und Gewalt um?
Die größte Oppositionspartei CHP war 2013 eine große Unterstützerin der Gezi-Proteste. Anfang August 2016 sprach der Vorsitzende der kemalistischen Partei jedoch ebenso wie Staatspräsident Erdoğan vor hunderttausenden auf einer Anti-Putsch-Kundgebung der AKP. Ich will wissen: Nähert sich die CHP aufgrund des politischen Drucks der AKP an? Und lebt der Geist von Gezi in der Partei heute immernoch weiter?
Dies sind nur drei der vielen Fragen, die ich stellen möchte. Ich will ein möglichst umfassendes Bild davon bekommen, wie sich die Stimmung seit 2013 verändert hat. Am Ende möchte ich versuchen eine Antwort auf die Frage geben zu können, was passieren muss, damit die türkische Demokratie überlebt.
Ich werde das Ergebnis meiner Recherche als multimediale Reportage auf Correctiv.org veröffentlichen und außerdem für weitere Medien berichten.
Für türkische Journalisten wird es immer schwieriger, kritisch zu berichten. Und die meisten Auslandskorrespondenten und Nachrichtenagenturen berichten vor allem über die türkische Regierungspolitik, über Bürgerrechtsverletzungen und den Flüchtlingsdeal.
Ich will mich vor Ort mit denen treffen, die 2013 für einen Wandel auf die Straße gegangen sind, von dem die Türkei heute scheinbar weiter entfernt ist, als je zuvor. Ich will den Lesern einen Einblick in die Teile der türkischen Gesellschaft verschaffen, die Erdoğan mit allen Mitteln versucht, zum Schweigen zu bringen.
Die Türkei ist nicht nur geografisch ein Bindeglied zwischen Europa und dem Nahen Osten. Auch politisch ist das Land hin- und hergerissen. Wird die Türkei auf lange Sicht ein stabiles Land, in dem Demokratie und Bürgerrechte selbstverständlich sind? Oder entwickelt sie sich weiter zu einem autoritär geführten Staat, der Kriege gegen eigene Bevölkerungsgruppen führt?
Um zu verstehen, was geschehen muss, um letzteres zu verhindern, müssen wir verstehen, wie Opposition und Zivilgesellschaft in der Türkei funktionieren.
Die Demonstranten von Gezi sind für eine offene Gesellschaft auf die Straße gegangen, eine Gesellschaft in der Bürgerrechte und individuelle Freiheiten wichtiger sind, als autoritäre Machtansprüche und religiöse Dogmen. Ich will herausfinden, ob der Geist der Gezi-Proteste die Repressalien der letzten Jahre überlebt hat und noch heute das Potential hat, den Wandel herbeizuführen, den die Türkei so dringend braucht.
Dabei brauche ich eure Unterstützung!
Das Geld fließt komplett in meine zehntägige Recherche in Istanbul. Das bedeutet: Flugkosten, Unterkunft, Verpflegung und Co. Ich habe meine Vorrecherche bereits selbst finanziert, kann die Kosten für eine zeitintensive und umfangreiche Recherche vor Ort als freier Journalist aber nicht alleine tragen. Gleichzeitig ist eine ausführliche Vor-Ort-Recherche absolut notwendig für guten Journalismus. Meine finanzielle Kalkulation ist dabei bislang sehr knapp - ich würde mich darum auch freuen, wenn mit eurer Unterstützung mehr als die anvisierten 1800€ zusammenkommen.
Sollte ich meine Recherche aus Sicherheitsgründen eher abbrechen müssen oder gar nicht erst ins Land gelassen werden, werde ich einen Teil des Geldes für Recherchen von Deutschland aus verwenden und den Rest an Reporter ohne Grenzen spenden!
Ich bin freier Journalist und beschäftige vor allem mit Themen wie Rechtsextremismus, Sozialen Bewegungen, Flucht und Migration und Jugend- und Subkulturen. Immer wieder stehen aber auch die politischen Entwicklungen in der Türkei und den kurdischen Gebieten in meinem Fokus.
Während der Gezi-Proteste 2013 war ich zum ersten Mal in Istanbul. Nachdem ich mit hunderttausenden Menschen auf dem Taksim-Platz stand, hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Danach war ich 2014 erneut einen Monat lang für einen Sprachkurs in Istanbul und habe im Juni 2015 für VICE.com von der türkischen Parlamentswahl berichtet. Ich berichte außerdem immer wieder über türkische und kurdische Proteste in Deutschland.
Ich habe bislang unter anderem für VICE, bento, taz, Freitag, bodo und Surprise geschrieben und bin Mitglied des Journalistenblogs Ruhrbarone.
Meine Fotos wurden in verschiedenen internationalen Medien wie dem Guardian, Telegraph oder den New York Daily News veröffentlicht.
Einzeln vertretungsberechtigt:
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